Emer de Vattel – Wikipedia

Emer de Vattel
Le droit des gens, 1775

Emer(ich) de Vattel (* 25. April 1714 in Couvet; † 28. Dezember 1767 in Neuchâtel) war ein Neuenburger Natur- und Völkerrechtler und Vertreter der Westschweizer Naturrechtsschule (École romande du droit naturel). Weitere Schreibweisen seines Namens sind Emmeric de Vattel (Wattl)[1] oder Emmerich von Vattel.[2] Er war vielleicht[3] ein Schüler von Jean-Jacques Burlamaqui. Bekannt ist Vattel vor allem für seine zahlreichen rechtsphilosophischen Schriften, die das Verständnis des Völkerrechts bis heute prägen.

Vattel wurde 1714 in Couvet in dem damals noch zu Brandenburg (später Preußen) gehörigen Fürstentum Neuenburg als Sohn des protestantischen Pfarrers David de Vattel und dessen Frau Marie de Montmollin geboren. Er war eines von neun Kindern. Sein Vater wurde als Unterstützer von Friedrich I. von diesem in den Adelsstand erhoben. Seine Mutter entstammte einer im Fürstentum Neuenburg hoch angesehenen Familie. So war Vattels Onkel mütterlicherseits Emmer de Montmollin von Friedrich I. zum Chancelier d’État ernannt und mit verschiedenen diplomatischen Missionen betraut worden. 1764 heiratete Vattel Marie-Anne de Chéne, mit der er am 30. Januar 1765 einen Sohn bekam.

Nachdem sein Vater eine Pfarrstelle in Saint-Aubin-Sauges angenommen hatte, erhielt der junge Vattel zunächst Hausunterricht. Im Alter von 17 Jahren bestand er die Zulassungsprüfung zum Studium der Theologie in Basel. Nach dem Tod seines Vaters wechselte er an die Universität Genf, um sich dort mit der Arbeit von Gottfried Wilhelm Leibniz und Christian Wolff zu beschäftigen und Vorlesungen bei Jean-Jacques Burlamaqui zu hören. Im Rahmen dessen wandte sich Vattel immer stärker den Fragen der Rechtswissenschaft zu und entwickelte das Interesse am Natur- und Völkerrecht. Ab 1743 lebte er in Dresden und wurde dort Legationsrat sowie 1758 Geheimrat.[2]

Diplomatische Aktivitäten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufgrund der familiären Prägung durch seinen Vater und den Onkel mütterlicherseits strebte Vattel eine Anstellung im diplomatischen Dienst an. 1742 reiste er nach Berlin, um bei Friedrich II. um eine entsprechende Anstellung zu bitten. Während seiner Zeit in Berlin bemühte sich Vattel mehrfach um die Errichtung einer Universität in Neuchâtel. Dies lehnte Friedrich II. jedoch stets ab. Da dieser auch dem Wunsch Vattels nach einer diplomatischen Anstellung nicht nachkam, reiste er 1743, auf Einladung Heinrich von Brühls, an den Hof von August III. nach Dresden weiter. Dieser entsandte ihn 1747 als Ministerresident nach Bern. Da diese Tätigkeit mit wenig Arbeit verbunden war, verbrachte er viel Zeit in seiner Heimatstadt Neuchâtel und schrieb den größten Teil seines bekanntesten Werkes Droit des gens, ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains. 1760 verließ Vattel die Schweiz und reiste über Warschau und Prag zurück in die sächsische Hauptstadt Dresden, wo er als Geheimrat mit auswärtigen Angelegenheiten betraut wurde. Im Gegensatz zu seiner vorherigen Stellung war diese Arbeit äußerst zeitintensiv und verlangte Vattel gesundheitlich das Äußerste ab. So starb er im Alter von nur 53 Jahren 1767 während einer Reise in das heimatliche Neuchâtel.

Bekannt wurde Vattel durch verschiedene rechtsphilosophische Schriften. So schrieb er schon in jungen Jahren die Abhandlung Defense du systeme leibnitien zur Verteidigung der von Leibniz aufgestellten Denkansätze gegen die Kritik von Jean Pierre de Crousaz. Vor allem aber sein Hauptwerk Droit des gens, ou principes de la loi naturelle appliqués à la conduite et aux affaires des nations et des souverains (Leiden 1758) galt schon zu seinen Lebzeiten als Standardwerk des Völkerrechts. Hierin vertrat er Grundsätze der Aufklärung gegen die Politik des Patrimonialstaats und schuf das sogenannte „Nutzungs- und Kultivierungsargument“. In dieser Abhandlung versuchte er, eine Rechtsgrundlage für die Aufteilung der Welt in Kolonien zu schaffen. Sie führte über den Begriff der Nation die Staatsräson und das Volksinteresse wieder zusammen und erhob Gerechtigkeit und nicht Souveränität zur Orientierungsnorm der Staatenbeziehungen.

Emer de Vattel und die Westschweizer Naturschule leisteten einen grundlegenden Beitrag zur Diskussion des Naturrechts und der gesellschaftlichen und staatlichen Grundlagen, beeinflussten damit das naturrechtlich begründete Menschen- und Völkerrecht und die amerikanische Verfassungsgebung (Virginia Bill of Rights, Unabhängigkeitserklärung), die wiederum Vorbild für den Schweizer Bundesstaat wurde:

“America’s Founders were inspired by the ideas and values of early Swiss philosophers like Jean-Jacques Burlamaqui and Emer de Vattel, and the 1848 Swiss Constitution was influenced by our own U.S. Constitution. Swiss commitment to democracy is an example for nations and people everywhere who yearn for greater freedoms and human rights.”

„Die Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika ließen sich von den Ideen und Werten inspirieren, die auf frühe Schweizer Philosophen wie Jean-Jacques Burlamaqui und Emer de Vattel zurückgehen. [Umgekehrt] wurde die Schweizer Verfassung aus dem Jahre 1848 von unserer eigenen US-Verfassung beeinflusst. Das Schweizer Engagement für Demokratie ist ein Beispiel für Nationen und Völker auf der ganzen Welt, die sich nach mehr Freiheiten und Menschenrechten sehnen.“

Hillary Rodham Clinton: Statement On the Occasion of Switzerland’s National Day[4]
  • Vincent Chetail (Hrsg.): Vattel’s International Law in a XXIst Century Perspective / Le droit international de Vattel vu du XXIe siècle (Graduate Institute of International Studies; Band 9). Nijhoff, Leiden 2011, ISBN 978-90-04-19463-2.
  • Vincent Chetail: Vattel and the American Dream: An Inquiry into the Reception of The Law of Nations in the United States. In: Pierre-Marie Dupuy und Vincent Chetail (Hrsg.): The Roots of International Law / Les fondements du droit international: liber amicorum Peter Haggenmacher, Leiden 2014, S. 251–300.
  • Johann August Ritter von EisenhartVattel, Emerich v. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 39, Duncker & Humblot, Leipzig 1895, S. 511–513.
  • Christoph Good: Emer de Vattel (1714–1767), naturrechtliche Ansätze einer Menschheitsidee und des humanitären Völkerrechts im Zeitalter der Aufklärung (Europäische Rechts- und Regionalgeschichte; Band 12). Nomos VG, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6437-5 (zugl. Dissertation, Universität St. Gallen 2010).
  • Knud Haakonssen (Hrsg.): Grotius, Pufendorf and modern natural law. Ashgate Books, Aldershot 1999, ISBN 1-85521-985-9.
  • Emmanuelle Jouannet: Emer de Vattel et l’émergence doctrinale du droit international classique. Pedon, Paris 1998, ISBN 2-233-00330-6.
  • Johannes J. Manz: Emer de Vattel. Versuch einer Würdigung. Unter besonderer Berücksichtigung seiner Auffassung von der individuellen Freiheit der souveränen Gleichheit. Schulthess, Zürich 1971 (zugl. Dissertation, Universität Zürich 1971).
  • William Ossipow und Dominik Gerber: The Reception of Vattel’s Law of Nations in the American Colonies: From James Otis and John Adams to the Declaration of Independence. In: American Journal of Legal History, 2017, S. 1–35.
  • Walter Rech: Enemies of mankind. Vattel’s theory of collective security. Nijhoff, Leiden 2013, ISBN 978-90-04-25434-3.
  • Heinhard Steiger: Solidarität und Souveränität oder Vattel reconsidered. In: Ekkehard Stein (Hrsg.): Auf einem dritten Weg. Festschrift für Helmut Ridder zum siebzigsten Geburtstag. Luchterhand, Neuwied 1989, ISBN 3-472-32327-2, S. 315–336.
Commons: Emmerich de Vattel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Vattel. In: Herders Conversations-Lexikon. 1. Auflage. Band 5. Herder, Freiburg im Breisgau 1857, S. 585 (Digitalisat. zeno.org).
  2. a b Vattel. In: Heinrich August Pierer, Julius Löbe (Hrsg.): Universal-Lexikon der Gegenwart und Vergangenheit. 4. Auflage. Band 18: Türkisches Reich–Wechsler. Altenburg 1864, S. 379 (Digitalisat. zeno.org).
  3. Peter Haggenmacher: Emer de Vattel. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 2. Juli 2013, abgerufen am 2. Juli 2019.
  4. Hillary Rodham Clinton: Statement On the Occasion of Switzerland’s National Day. In: Außenministerium der Vereinigten Staaten. 29. Juli 2011, abgerufen am 5. November 2019 (englisch, Archivversion des U.S. Department of State).