Alström-Syndrom – Wikipedia

Klassifikation nach ICD-10
Q87.8 Sonstige näher bezeichnete angeborene Fehlbildungssyndrome, anderenorts nicht klassifiziert
– Alström-Syndrom
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Alström-Syndrom, auch Alström-Hallgren-Syndrom genannt, ist eine seltene autosomal rezessive Erbkrankheit. Die Krankheit zeigt komplexe und variable, mit dem Alter zunehmende Symptome vieler Organsysteme des Körpers. Alle Patienten entwickeln in früher Kindheit Lichtscheu und Nystagmus. Die Sehstörung ist fortschreitend und die Kinder erblinden in der Regel im Alter von 12 Jahren. Weitere Störungen betreffen den Stoffwechsel, das Hormonsystem und die lebenswichtigen Organe Nieren, Leber und Herz. Die kognitive Leistung ist nicht oder nur sehr gering eingeschränkt, wodurch sich das Alström-Syndrom vom Bardet-Biedl-Syndrom unterscheidet, als dessen Unterform es bis Anfang der 1980er Jahre angesehen wurde.[1][2]

Die Namensbezeichnung bezieht sich auf die schwedischen Erstbeschreiber Carl Henry Alström und Mitarbeiter.[3]

Die Vererbung erfolgt autosomal-rezessiv. Die Krankheit wird ausgelöst durch Mutationen im Gen ‘‘ALMS1‘‘, das sich auf dem Chromosom 2 an Genort p31 befindet.[4][5] Das Gen codiert für ein großes Protein, das in fast allen Körperzellen im Zentrosom lokalisiert nachgewiesen werden konnte.[6] Daher gehört die Krankheit zur Gruppe der Ziliopathien.[7][8]

Häufigkeit und Epidemiologie

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Das Alström-Syndrom ist schwer zu diagnostizieren; Einerseits ist es sehr selten und daher den meisten Ärzten unbekannt, andererseits zeigt es komplexe und variable Symptome, die sich erst im Laufe der Zeit entwickeln. Bei vielen Patienten wird die Diagnose daher erst im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter gestellt. Das Alström-Syndrom kommt auf der ganzen Welt vor, in allen Ländern und ethnischen Gruppen. War in den Artikeln in den 90er Jahren noch von zunächst 20, dann 60 Patienten weltweit die Sprache, ist die Krankheit (Stand 2008) bei über 500 Menschen in über 45 Ländern diagnostiziert worden. Allerdings gibt es bestimmt sehr viel mehr Patienten, bei denen lediglich die Diagnose noch nicht gestellt wurde.

Die Diagnosestellung erfolgt durch die Symptomkonstellation und kann durch einen genetischen Test ergänzt werden.[9] Durch den Gentest kann die Krankheit allerdings nur in etwa der Hälfte aller Fälle bestätigt werden (Stand 2008), so dass ein negatives Testergebnis die Krankheit nicht ausschließt.

Lichtscheu und Nystagmus beginnen in der Regel schon zur Geburt oder kurz danach, die Sehstörung ist fortschreitend und die Kinder erblinden im Alter von 12 Jahren. Hörschäden beginnen ebenfalls während der Kindheit. Dilatative Kardiomyopathie und plötzliche Herzinsuffizienz können in der Kindheit, im Jugendalter oder im erwachsenen Alter auftreten. Das Risiko einer Kardiomyopathie im Jugend- oder Erwachsenenalter ist für die Patienten erhöht, die bereits im Kleinkindalter eine dilatative Kardiomyopathie durchgemacht haben. Weitere häufige Probleme sind Übergewicht, Insulinresistenz oder Typ-2-Diabetes, Dunkelfärbung der Haut (so genannte Acanthosis nigricans), erhöhte Fettwerte – vor allem Triglyceride – im Blut, Leberprobleme, Infertilität und Schilddrüsenprobleme. Weitere Symptome sind unter anderem dünne Haare, Minderwuchs, und Skoliose. Die folgende Tabelle bietet einen Überblick, in Klammern Angaben zur Häufigkeit und das mittlere Alter des Beginns der Symptomatik:[10]

  • Nystagmus (100 %, 6 Monate)
  • Photophobie (100 %, 6 Monate)
  • Visusminderung (100 %, 1 Jahr)
  • Erblinden (100 %, 13 Jahre)
  • Chronische Mittelohrentzündung (40 %, 2 Jahre)
  • Sensoneurale Schwerhörigkeit (88 %, 6 Jahre)
  • Passagere dilatative Kardiomyopathie (42 %, 6 Monate)
  • Erneutes Auftreten einer Kardiomyopathie (13 %, 15 Jahre)
  • Erstmanifestation einer Kardiomyopathie im Jugend- oder Erwachsenenalter (18 %, 25 Jahre)
  • Übergewicht (98 %, 4 Jahre)
  • Minderwuchs unter der 50. Perzentile (98 %, 13 Jahre)
  • Hyperinsulinismus (92 %, 16 Jahre)
  • Diabetes Mellitus Typ 2 (68 %, 20 Jahre)
  • Hypertriglyceridämie (52 %, 21 Jahre)
  • Schilddrüsenunterfunktion (17 %, 20 Jahre)
  • Männlicher Hypogonadismus (78 %, 12 Jahre)
  • Störungen des weiblichen Geschlechtshormonhaushaltes (52 %, 18 Jahre)
  • Gastrointestinale Beschwerden, inklusive gastroösophagealer Reflux (33 %, 15 Jahre)
  • Erhöhte Leberenzymwerte (92 %, 10 Jahre)
  • Fettleber (23 %, 14 Jahre)
  • Pfortaderhypertonie (9 %, 18 Jahre)
  • Harnwegsinfekte (19 %, 15 Jahre)
  • Blasendysfunktion (48 %, 14 Jahre)
  • Nierenkrankheit (49 %, 15 Jahre)
  • Bluthochdruck (30 %, 14 Jahre)
  • Lungenbeschwerden (52 %, 2 Jahre)
  • Asthma (19 %, 5 Jahre)
  • Chronische Bronchitis (24 %, 10 Jahre)
  • Schlafstörungen (15 %, 9 Jahre)
  • Muskelschwäche (29 %, 13 Jahre)
  • Absence-Anfälle (12 %, 9 Jahre)
  • Verändertes Schlafmuster (13 %, 14 Jahre)
  • Entwicklungsverzögerung (46 %, 3 Jahre)
  • Verzögerung der Entwicklung der Feinmotorik (21 %, 2 Jahre)
  • Verzögerter Spracherwerb (11 %, 4 Jahre)
  • Verzögerte kognitive Leistungen (16 %, 6 Jahre)
  • Autismusspektrumstörung (8 %, 10 Jahre)

Eine kausale Therapie des Alström-Syndroms gibt es nicht. Viele der Symptome können durch therapeutische Maßnahmen abgemildert oder durch vorbeugende Lebensführung vermieden werden. Daher ist die regelmäßige Betreuung der Patienten in einem Zentrum von herausragender Bedeutung. Zu den regelmäßig durchzuführenden Untersuchungen gehören unter anderem Herzecho-Untersuchung, Blutentnahmen, Blutdruckmessungen und Maßnahmen zur Gewichtsreduktion, bzw. Vermeidung von Übergewicht. Marshall et al. (2007) haben eine Übersicht über individuell sinnvolle Untersuchungen veröffentlicht.[11] Organtransplantationen wurden bei Alströmpatienten bereits durchgeführt (Niere, Herz). Da es sich um eine Multiorganerkrankung handelt, wird die Transplantation eines Organs für Alströmpatienten kontrovers gesehen.

  • Jan D. Marshall u. a.: Alstrom Syndrome (Practical Genetics). In: Eur J Hu Genet, 15, 2007, S. 1193–1202, nature.com (PDF; 142 kB).

Einzelnachweise

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  1. Eintrag zu Alström-Syndrom. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten), abgerufen am 19. August 2024.
  2. Bernfried Leiber (Begründer): Die klinischen Syndrome. Syndrome, Sequenzen und Symptomenkomplexe. Hrsg.: G. Burg, J. Kunze, D. Pongratz, P. G. Scheurlen, A. Schinzel, J. Spranger. 7., völlig neu bearb. Auflage. Band 2: Symptome. Urban & Schwarzenberg, München u. a. 1990, ISBN 3-541-01727-9.
  3. Carl Henry Alström, Bertie Hallgren u. a.: Retinal degeneration combined with obesity, diabetes mellitus and neurogenous deafness. A specific syndrome (not hitherto described) distinct from Laurence-Moon-Biedl syndrome. A clinical endocrinological and genetic examination based on a large pedigree. In: Acta Psychiatr Neurol Scand 34 (Suppl. 129), 1959, S. 1–35.
  4. Gayle B. Collin u. a.: Mutations in ALMS1 cause obesity, type 2 diabetes and neurosensory degeneration in Alström syndrome. In: Nature Genetics. 31, 2002 S. 74–78, PMID 11941369.
  5. Tom Hearn u. a.: Mutation of ALMS1, a large gene with a tandem repeat encoding 47 amino acids, causes Alström syndrome. In: Nat Genet. 31, 2002 S. 79–83, PMID 11941370.
  6. Tom Hearn u. a.: Subcellular localization of ALMS1 supports involvement of centrosome and basal body dysfunction in the pathogenesis of obesity, insulin resistance, and type 2 diabetes. In: Diabetes 54, 2005, S. 1581–1587. diabetesjournals.org
  7. J.L. Badano u. a.: The ciliopathies: an emerging class of human genetic disorders. In: Annu Rev Genomics Hum Genet. 7, 2006, S. 125–148, PMID 16722803.
  8. Alstrom syndrome. In: Online Mendelian Inheritance in Man. (englisch)
  9. Jan D. Marshall u. a.: Spectrum of ALMS1 variants and evaluation of genotype-phenotype correlations in Alström syndrome. In: Hum Mutat. 28, 2007, S. 1114–1123, PMID 17594715.
  10. Jan D. Marshall u. a.: New Alström syndrome phenotypes based on the evaluation of 182 cases. In: Arch Intern Med. 165, 2005, S. 675–683. ama-assn.org
  11. Jan D. Marshall u. a.: Alstrom Syndrome. In: Eur J Hu Genet (Practical Genetics) 15, 2007, S. 1193–1202, nature.com (PDF; 142 kB).