Carsten Niebuhr – Wikipedia

Carsten Niebuhr, nach einem Kupferstich von Carl Christian Glassbach (1751–ca. 1793), nach 1770; hier als Buchillustration, 1868

Carsten Niebuhr (* 17. März 1733 in Lüdingworth; † 26. April 1815 in Meldorf) war ein deutscher Mathematiker, Kartograf und Forschungsreisender in dänischen Diensten.

Göttinger Gedenktafel für Carsten Niebuhr

Carsten Niebuhr stammte aus einer wohlhabenden, alteingesessenen Bauernfamilie im Land Hadeln. Nach dem Tod seines Vaters 1749 verließ er die Lateinschule in Altenbruch. 1755 zog er nach Hamburg und beendete dort seine Schulausbildung an der Gelehrtenschule des Johanneums. Nach einem dreijährigen Mathematikstudium an der Georg-August-Universität Göttingen trat Niebuhr 1760 als Ingenieurleutnant in dänische Dienste. Im selben Jahr wurde er zum korrespondierenden Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften gewählt.[1] 1761 wurde er von König Frederik V. von Dänemark als Kartograf in die sechsköpfige dänische Arabien-Expedition berufen, die im gleichen Jahr als Arabische Reise mit der Schiffspassage von Kopenhagen nach Konstantinopel begann.[2]

Arabische Reise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Auch wenn der Auftrag zu der Forschungsreise durch den dänischen König erging und dieser die Finanzierung übernahm, entstammte die Initiative dazu einem bereits 1753 ergangenen Aufruf des Göttinger Orientalisten Johann David Michaelis. Michaelis versprach sich von der Reise in den Vorderen Orient Beweisstücke für den Wahrheitsgehalt der biblischen Erzählungen. 1756 wiederholte er sein Anliegen in einem Brief an den deutschen Statthalter in Kopenhagen, Johann Hartwig Ernst von Bernstorff. Dieser wiederum gewann den dänischen König für den Plan.

Neben C. Niebuhr nahmen an der Expedition die folgenden Personen teil:

  1. Professor Friedrich Christian von Haven als Philologe und Kenner der arabischen Sprache;
  2. Professor Peter Forsskål als Naturkundler;
  3. Doktor Christian Carl Cramer als Arzt;
  4. Georg Wilhelm Bauernfeind als Kupferstecher und Maler;
  5. Berggren, ein schwedischer Dragoner als Diener – dieser wird häufig übersehen, so dass meist nur von einer fünfköpfigen Expedition gesprochen wird. Niebuhr sprach selber nur von einer fünfköpfigen Reisegesellschaft.
Niebuhr-Büste (von Manfred Sihle-Wissel) vor dem Niebuhr-Haus in Meldorf.

Nach einem Abstecher auf die Halbinsel Sinai wurde die Reise in Sues auf einem Pilgerschiff nach Dschidda und Mekka im heutigen Saudi-Arabien fortgesetzt. Um Konflikte mit den Einheimischen zu vermeiden, legte Niebuhr für seine weitere Reise Landestracht an. Er fertigte die erste verlässliche Kartenskizze des Roten Meeres an. Diese Karte gab für die britische Post den Ausschlag für die Entscheidung, die Post nach Indien über Sues statt wie bisher um Afrika herum zu befördern. Schließlich erreichte Niebuhr den Jemen, von dem er auf zahlreichen Reisen die erste genaue Karte anfertigte, die für die nächsten 200 Jahre gültiges Standardwerk blieb.

Keilschriftdarstellung mit Einhorn und Löwe (Illustration aus: Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern, Amsterdam 1779)

Nachdem von Haven (25. Mai 1763) und Forsskål (11. Juli 1763) an der damals noch nicht diagnostizierbaren (und schon gar nicht behandelbaren) Malaria erkrankt und gestorben waren, brachen die verbliebenen vier Expeditionsteilnehmer nach einem Besuch der jemenitischen Hauptstadt Sanaa 1763 von Mokka (Al Mukha) nach Bombay in Indien auf. Auf der Seereise starben auch Bauernfeind und Berggren (29. und 30. August 1763), so dass nur noch zwei der Expeditionsteilnehmer Bombay erreichten. Dort starb am 10. Februar 1764 schließlich auch Cramer, der letzte Begleiter Niebuhrs, an Malaria.

Trotz aller Widrigkeiten setzte Niebuhr seine Reise in Richtung Meer von Oman und zum Persischen Golf fort und landete schließlich Anfang des Jahres 1765 in Buschehr. Von dort aus schloss er sich einer Karawane nach Schiras an, wo er einige Wochen blieb. Sodann reiste er nach Persepolis und kopierte in den Ruinen mehrere Keilschrift-Inschriften so sorgfältig, dass seine Aufzeichnungen noch Jahrzehnte später als Vorlage für die Entzifferung von Keilschriften dienten. So nutzte Georg Friedrich Grotefend eine der Niebuhrschen Kopien aus dem Darius-Palast in Persepolis für seine Lesung der altpersischen Version, den ersten gelungenen Entzifferungsversuch der Keilschrift. 1766 fertigte Niebuhr einen Grundriss der Stadt Orfa (Urfa) an, heute Sanliurfa.[3]

Bronzestatue in Lüdingworth von Frijo Müller-Belecke

1767 kehrte Carsten Niebuhr auf dem Landweg über den Irak, die Türkei und den Balkan nach Kopenhagen zurück und veröffentlichte die gesammelten Daten und Unterlagen der Expedition. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen für seine Verdienste und Arbeiten. Der Göttinger Professor Michaelis zählte hingegen nicht zu den Gratulanten. Für die bahnbrechenden empirischen Erkenntnisse über eine damals für Europäer weitgehend fremde Welt, die Niebuhr erzielt hatte, zeigte Michaelis praktisch kein Interesse, da er sie nicht mit seiner ursprünglichen Intention einer Faktensammlung zur Untermauerung der biblischen Heilsgeschichte verwenden konnte.[2]

Walther Witting (1864–1940): Carsten Niebuhr. Öl auf Leinwand, signiert und datiert „1908“, Dithmarscher Landesmuseum, Meldorf

1768 wurde Niebuhr Ingenieur-Kapitän, 1778 Wirklicher Justizrat und Landschreiber zu Meldorf, 1808 Etatsrat. In Meldorf war er mit dem Dichter Heinrich Christian Boie befreundet.

In Kopenhagen heiratete er 1773 Christiane Sophie Blumenberg (1742–1807), die Tochter des königlichen Leibarztes Henning Georg Blumenberg (1699–1745) aus Goslar. Barthold Georg Niebuhr war ihr Sohn, Marcus von Niebuhr ihr Enkel. 1802 wurde er zum auswärtigen Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres gewählt.

In Meldorf starb er im Jahr 1815. Niebuhr wurde im Meldorfer Dom begraben, wo seine Grabplatte erhalten ist. Denkmäler stehen in seinem Heimatort Lüdingworth und vor dem Meldorfer Dom.[4]

Niebuhr galt in seiner Zeit als Aufklärer, der einen unbefangenen Blick auf den Orient warf. Johann Wolfgang von Goethe verlangte von Niebuhrs Sohn ein Autograf seines Vaters. Friedrich Schiller las 1798 Niebuhrs Reisebeschreibung – vor allem über seine besondere Aufmerksamkeit für archäologische Überreste – zur Zeit von Napoleons Ägyptenfeldzug.[5] Auch Johann Gottfried Herder beschäftigte sich mit Niebuhrs Reisebeschreibungen, und widmete ihm den ersten seiner „Persepolitanischen Briefe“.

Niebuhr war der erste, der die Methode der Monddistanzen auf dem Festland zur Bestimmung der geographischen Länge anwandte. Damit erzielte er ausgezeichnete Ergebnisse für das nördliche Rote Meer. Mit Hilfe seiner Karte konnte es Kapitän Holford 1772 wagen, den Seeweg von Kalkutta nach Sues zu suchen.

In Kopenhagen war Niebuhr in freundschaftlichen Kontakt zu dem noch jungen Deutsch-Dänen Friedrich Münter gekommen, welchen er für die Archäologie zu begeistern verstand und der später ein bekannter Orientalist, Altertumsforscher und Bischof in dänischen Diensten werden sollte.

Das größte skandinavische Universitätsinstitut auf dem Forschungsgebiet Naher Osten mit dem Sitz an der Universität Kopenhagen ist nach Carsten Niebuhr benannt. Seine Messinstrumente befinden sich zusammen mit einem Modell des Forschungsschiffes Grönland im Dithmarscher Landesmuseum in Meldorf. Teile seiner handschriftlichen Reiseberichte befinden sich in der Göttinger Universitätsbibliothek.

Belletristische Darstellung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die deutsche Schriftstellerin Christine Wunnicke veröffentlichte 2020 den Roman Die Dame mit der bemalten Hand, der von der fiktiven Begegnung Niebuhrs mit dem persischen Astronomen Musa al Lahuri berichtet.[6] Das Werk gelangte auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises[7] und wurde mit dem Wilhelm-Raabe-Literaturpreis 2020 ausgezeichnet. Der am 13. Juli 1953 entdeckte Asteroid des mittleren Hauptgürtels (3284) Niebuhr wurde nach Carsten Niebuhr benannt.[8]

  • Lawrence J. Baack: Undying Curiosity. Carsten Niebuhr and The Royal Danish Expedition to Arabia 1761–1767. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-515-10768-6, S. 443, doi:10.25162/9783515107730 (englisch).
  • Carsten Erich CarstensNiebuhr, Carsten. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 23, Duncker & Humblot, Leipzig 1886, S. 661 f.
  • Julia Chatzipanagioti: Eine Reise in die Gegenwart der Vergangenheit. Die Expedition Carsten Niebuhrs nach Arabien (1761–1767). In: Transactions of the Ninth International Congress on the Enlightenment. 3 Bände Oxford: Voltaire Foundation, 1997. Band 2, S. 863–866.
  • Jürgen Christiansen: Niebuhrslust. In: http://volkskunde-sh.de/. Gesellschaft für Volkskunde in Schleswig-Holstein e.V, 20. Juni 2009, abgerufen am 29. Juni 2023.
  • Stephan Conermann, Josef Wiesehöfer (Hrsg.): Carsten Niebuhr und seine Zeit. Beiträge eines interdisziplinären Symposiums vom 7.–10. Oktober 1999 in Eutin. (Oriens et Occidens 5). Steiner, Stuttgart 2002, ISBN 3-515-08073-2.
  • Reimer HansenNiebuhr, Carsten. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 19, Duncker & Humblot, Berlin 1999, ISBN 3-428-00200-8, S. 217–219 (Digitalisat).
  • Thorkild Hansen: Reise nach Arabien. Hoffmann und Campe, Hamburg 1965, S. 423 (dänisch: Det lykkelige Arabien. Übersetzt von Dagmar Renate Hella Jehnich).
  • Anne Haslund Hansen: Niebuhr's Museum. Artefacts and Souvenirs from the Royal Danish Expedition to Arabia 1761–1767. Forlaget Vandkunsten, Kopenhagen 2016
  • Volker Heenes: Carsten Niebuhr und seine Reise nach Arabien von 1761 bis 1767. In: Reisen in den Orient vom 13. bis zum 19. Jahrhundert. (Schriften der Winckelmann-Gesellschaft 26). Stendal 2007, ISBN 3-910060-75-7, S. 49–57.
  • Dieter Lohmeier: Das Stammbuch Carsten Niebuhrs. In: Nordelbingen. Beiträge zur Kunst- und Kulturgeschichte Schleswig-Holsteins. Bd. 80 (2011), S. 121–140.
  • Eckardt Opitz: Carsten Niebuhr. In: Die unser Schatz und Reichtum sind. 60 Porträts aus Schleswig-Holstein. Christians, Hamburg 1990, ISBN 3-7672-1115-7, S. 77–85.
  • Claudia Opitz-Belakhal: Der „arabophile“ Carsten Niebuhr. Über emotionale und andere Grenzüberschreitungen im „glücklichen Arabien“. In: zeitenblicke. Band 11, Nr. 1, 2012 (zeitenblicke.de [abgerufen am 12. September 2013]).
  • Roger H. Guichard Jr.: Niebuhr in Egypt. European Science in a Biblical World. Cambridge Lutterworth 2014, ISBN 978-0-7188-9335-4.
  • Han F. Vermeulen: Anthropology and the Orient. C. Niebuhr and the Danish-German Arabia Expedition. In: Han F. Vermeulen: Before Boas. The Genesis of Ethnography and Ethnology in the German Enlightenment. Lincoln & London, University of Nebraska Press 2016, ISBN 978-0-8032-5542-5.
  • Klaus Gille: Niebuhrs Lust – zwölf Briefe Carsten Niebuhrs an den Vollmacht Piehl. In: Verein für Dithmarscher Landeskunde (Hrsg.): Dithmarschen. Band 1987, Nr. 3, S. 19–24.
Commons: Carsten Niebuhr – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Carsten Niebuhr – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Holger Krahnke: Die Mitglieder der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 1751–2001 (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse. Folge 3, Band 246 = Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Folge 3, Band 50). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2001, ISBN 3-525-82516-1, S. 178.
  2. a b Carsten Erich CarstensNiebuhr, Carsten. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 23, Duncker & Humblot, Leipzig 1886, S. 661 f.
  3. Reisebeschreibung folgt Niebuhrs eigener Darstellung
  4. Projekt "Carsten Niebuhr (1733–1815) (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
  5. Stefan Weidner: Wie binden die Jemeniten ihre Strümpfe? In: Süddeutsche Zeitung. 1. April 2019, abgerufen am 12. Juni 2020.
  6. Christine Wunnicke: Die Dame mit der bemalten Hand. Berenberg Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-946334-76-7.
  7. 2020 Shortlist. In: deutscher-buchpreis.de (abgerufen am 15. September 2020)
  8. Lutz D. Schmadel: Dictionary of Minor Planet Names. Fifth Revised and Enlarged Edition. Hrsg.: Lutz D. Schmadel. 5. Auflage. Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 2003, ISBN 3-540-29925-4, S. 186, doi:10.1007/978-3-540-29925-7_3285 (englisch, 992 S., Originaltitel: Dictionary of Minor Planet Names. Erstausgabe: Springer Verlag, Berlin, Heidelberg 1992): “1953 NB. Discovered 1953 July 13 by J. A. Bruwer at Johannesburg.”