Erdölkonstante – Wikipedia

Als Konstanz der statischen Reichweite oder etwas ironisch Erdölkonstante[1] (keine Konstante im mathematischen Sinn) wird die medial aufgegriffene Beobachtung bezeichnet, dass sich die statische Reichweite von Erdöl, d. h. das Verhältnis von förderwürdigen Reserven zu jährlicher Förderung, seit mehreren Jahrzehnten kaum verändert hat.[2] Dies hat mehrere Gründe, zum einen die zunehmende Rolle der unkonventionellen Lagerstätten,[3] zum anderen die Ausweitung der OPEC-Reserven in den 80ern und die Motivation zum anfänglichen Underreporting zum Aufbau stiller Reserven gemäß SEC-Regeln.

Konstanz der Reichweite

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Statische Reichweite von Rohöl

Im Jahre 2018 wurden 4,5 Gt (186,5 EJ) Erdöl verbraucht; die gesicherten Reserven lagen bei 244 Gtoe (10.201 EJ).[4]:41ff Somit errechnet sich eine statische Reichweite von 54 Jahren. 1926 lag die statische Reichweite in den USA bei nur 6 Jahren[5] und im Jahr 1948 global bei 20 Jahren, was bis 1972 auf Werte um 35 Jahre anstieg und seither weitgehend konstant blieb.[6] 1975 ergab sich ein Wert von 35, der bis 2003 langsam auf 40 Jahre wuchs.[7]

Die in der Industrie gern zitierte Konstanz der Reichweiten[8] ist u. a. die Folge einer immer weiter ausgebauten Ausbeutung von bekannten Ölvorkommen mit kapitalintensiven Fördertechniken und gestiegenen Betriebskosten.[6] Die Reichweitenverlängerung entsteht vor allem durch bereits bekannte Vorkommen, die mit besseren und teureren Methoden erschlossen werden können.[9] Zudem werden mit steigendem Ölpreis bekannte, unkonventionelle Vorkommen wie etwa Ölsande und Tight Oil im Schiefergestein und andere schwer erschließbare Vorkommen in der Tiefsee oder arktischen Regionen attraktiv.

Reservenausweitung

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Ein großer Teil des Reservenwachstums seit 2000 und damit der Verlängerung der statischen Reichweite beruht auf der "Umbuchung" der ausgedehnten unkonventionellen Schwerölvorkommen Venezuelas und der Ölsande Kanadas von Kategorie "Ressource" in "Reserve". Dies ist auf die Entwicklung des Ölpreises zurückführen, der ab der Jahrtausendwende von 20 $/bbl auf über 100 $/bbl anstieg.

Sprunghafte Reservenausweitung bei OPEC-Mitgliedern Ende der 1980er

Zudem war in den späten 80er Jahren bei den OPEC-Staaten eine höhere Reserveausweisung zu beobachten, ohne dass aktuelle Neufunde gemeldet wurden. Diese deklaratorische Strategie hatte damit zu tun, dass die Förderquote von der Reservengröße des jeweiligen Landes abhing.[10]

Laut Abdallah Dschumʿa, dem ehemaligen CEO von Aramco, muss sich die Welt in absehbarer Zeit keine Sorgen über versiegende Ölvorkommen machen. Er ging 2008 davon aus, dass von den vorhandenen flüssigen Ölvorkommen (oil in place: recoverable conventional and non-conventional liquid fuel resources) weniger als zehn Prozent bereits gefördert wurden. Er vertrat die Auffassung, dass Erdöl noch für rund ein Jahrhundert reicht. Zusätzlich zur kumulierten Ölförderung von 1,1 Mrd. Barrel, nehme er an, dass nicht nur die übliche Schätzung von 1,3 Mrd. Barrel noch gewinnbar seien, sondern unter konservativen Annahmen noch über 3 Mrd. Barrel gefördert werden können und bei optimistischeren Annahmen bis zu 6 Mrd. Barrel.[11] Auch gemäß Leonardo Maugeri sei das Zeitalter von Öl und fossilen Rohstoffen noch lange nicht vorbei, ein Großteil der fossilen Rohstoffe sei noch gar nicht erschlossen.[6][9]

Die Erschließung neuer Ölvorkommen beruht zum einen auf technologischem Fortschritt in der Prospektion, auf Tiefseebohrtechniken, und Zugänglichmachung von Ölfeldern in den polnahen Regionen mit ihrer Transportproblematik. Zu den Technologien gehört auch Fracking minderwertigerer beurteilter Vorkommen mit geringer Porosität. Zum anderen werden aufgrund höherer Ölpreise zunehmend auch unkonventionelle Ölvorkommen wie Ölsande und Tight Oil Formationen als Reserve bewertet.[12]

Rohölfunde (incl. rückdatierte Reserven­ausweitung) und Ölförderung von 1930 bis 2006

Kritiker wie Matthew Simmons oder Colin J. Campbell halten dies für eine problematische Überschätzung der Ölvorkommen und weisen darauf hin, dass das Reservenwachstum durch die fehlende Rückdatierung auf erstmalige Entdeckung einer Lagerstätte falsch dargestellt werde. Seit den 1980er Jahren werde weniger neues Öl gefunden als gefördert. Neben politisch motivierten Reservenausweitungen von OPEC-Ländern (siehe oben) tragen auch die Bilanzierungsregeln für börsennotierte Ölfirmen dazu bei, dass bei Neufunden nicht der Erwartungswert der förderbaren Menge angegeben wird[13], sondern die vorsichtige untere P90-Schätzung, die dann im Laufe der Förderung scheibchenweise erhöht wird.[10] Campbell hat das als globales Ölfördermaximum bekannte Szenario Ende der 1990er Jahre für das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts vorausgesagt.[14] 2019 wurde mit 101,3 Millionen Barrel pro Tag ein Höchststand der weltweiten Ölförderung (all liquids, incl. Biokraftstoffen und unkonventionellem Öl) erreicht,[15] wobei die Förderung des konventionellen (billigen) Erdöls seit 2005 stagniert.[4]:43

Öl- und Gasreserven gegenüber Kohlereserven

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Im Gegensatz zu den Öl- und Gasreserven, die von börsennotierten Unternehmen nach dem Vorsichtsprinzip eher zurückhaltend bilanziert wurden und somit dem Aufbau von stillen Reserven dienten, ist bei Kohlereserven ein umgekehrter Trend zu beobachten. Hier ist häufiger ein Verfall der Reserven zu beobachten, wie z. B. in Großbritannien (1968) oder Deutschland (2004).[16] Dies liegt daran, dass die Reservenschätzungen von öffentlich bestellten Geologen durchgeführt wurden, die den zu bewerteten Untergrund sehr gut kannten, aber mit zu positiven Annahmen bzgl. der Abbauwürdigkeit arbeiteten (z. B. 1 Fuß Flözdicke bis in 4000 Fuß Tiefe bei der Royal Commission on Coal, 1871). An diesen normativen Festlegungen wurde über Jahrzehnte festgehalten, bis später realisiert wurde, dass diese Abgrenzungen nicht zu halten sind und es zu einem Reservenkollaps in diesen Ländern kam.[17] Gleichermaßen kam es zu einem Abschmelzen der statischen Reichweite für Kohle in diesen Ländern.

  • Fusion: Bereits seit Mitte des letzten Jahrhunderts wird die technische Beherrschung der kontrollierten Kernfusion und thermischer Energiegewinnung in Kernfusionsreaktoren mit einer annähernd konstant bleibenden Restentwicklungszeit von 30–50 Jahren vorhergesagt.[18][19][20]

Einzelnachweise

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  1. Arndt Reuning: Energie aus Erdöl und Erdgas. In: Wissenschaft im Brennpunkt – Serie: Die letzten Tage der Saurier? Kraftwerkstechnik auf dem Prüfstand, Teil 2. Deutschlandfunk, 23. Juli 2006, abgerufen am 17. Januar 2021.
  2. BP: Statistical Review of World Energy 2020. 69th edition. BP, 15. Juni 2020, S. 15, abgerufen am 19. Januar 2021: „Reserves-to-production (R/P) ratios, History“
  3. Ugo Bardi: Peak oil, 20 years later: Failed prediction or useful insight? In: Energy Research & Social Science. Band 48, Februar 2019, ISSN 2214-6296, S. 257–261, doi:10.1016/j.erss.2018.09.022 (sciencedirect.com [abgerufen am 23. Januar 2021]).
  4. a b C. Gaedicke, D. Franke, S. Ladage, R. Lutz, M. Pein, D. Rebscher, M. Schauer, S. Schmidt, G. von Goerne: BGR ENERGIESTUDIE 2019 (= Daten und Entwicklungen der deutschen und globalen Energieversorgung. Band 23). Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Hannover 2020, ISBN 978-3-9814108-3-9 (bund.de [PDF; 8,5 MB]): „Tabelle 4: Reserven und Ressourcen nicht-erneuerbarer Energierohstoffe sowie theoretische CO2–Emissionen“
  5. Federal Oil Conservation Board: Report of the Federal Oil Conservation Board to the President of the United States. Part 1. Government Printing Office, Washington, D.C. September 1926, S. 6 (handle.net [abgerufen am 27. Januar 2021]): „The total present reserves in pumping and flowing wells in the proven sands has been estimated at about 4 1/2 billion barrels, which is theoretically but six years' supply, though, of course, it can not be extracted so quickly.“
  6. a b c Leonardo Maugeri: Oil: Never Cry Wolf – Why the Petroleum Age Is Far from over. In: Science. Band 304, Nr. 5674, 21. Mai 2004, S. 1114–1115, doi:10.1126/science.1096427 (resilience.org [abgerufen am 15. Januar 2021]).
  7. Johannes Pollak, Samuel Schubert, Peter Slominski: Die Energiepolitik der EU. utb, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8252-3131-6, S. 20.
  8. Wolfgang W. Merkel, Die WELT 3. Dezember 2005: Energie aus der Tiefe, aufgerufen 23. Mai 2012
  9. a b Leonardo Maugeri: Oil: The Next Revolution. Discussion Paper 2012-10. Belfer Center for Science and International Affairs, Harvard Kennedy School, Cambridge, MA Juni 2012 (belfercenter.org [PDF; 1,6 MB; abgerufen am 15. Januar 2021]).
  10. a b Colin Campbell: Peak Oil – A Turning Point for Mankind. In: Video-Server. TU Claustahl, 7. Dezember 2000, S. 15:30, abgerufen am 15. Januar 2021. Vortragstext
  11. Peter Glover: Aramco Chief Debunks Peak Oil. In: Energy Tribune. 17. Januar 2008, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 15. Februar 2012; abgerufen am 29. Juli 2008 (englisch).
  12. Endliche Ölreserven: Apokalypse irgendwann Spiegel 11. Juni 2012 Alexander Jung
  13. Jean Laherrere: Estimates of Oil Reserves. Plenary Session I: Resources. In: EMF/IEA/IEW meeting. IIASA, Laxenburg, Austria, 19. Juni 2001, S. 2, abgerufen am 29. August 2021: „The SEC, to satisfy bankers and shareholders, obliges the oil companies listed on the US stock market to report only Proved Reserves and to omit Probable Reserves that are reported in the rest of the world. This poor practice of reporting only Proved Reserves led to a strong reserve growth, as 90% of the annual reserves oiladdition come from revisions of old fields, showing that the assessment of the fields was poorlyreported. This reserve growth of conventional oil reserves is wrongly attributed to technological progress.“
  14. Colin J. Campbell, Jean H. Laherrère: The End of Cheap Oil. In: Scientific American. Band 278, Nr. 3, März 1998, ISSN 0036-8733, S. 81 (berkeley.edu [PDF; 394 kB; abgerufen am 4. Februar 2021]): „it seems most likely that world production of conventional oil will peak during the first decade of the 21st century“
  15. Oil Market Report - January 2020. In: Oil Market Report. IEA, 16. Januar 2020, S. 53, abgerufen am 15. Januar 2021: „Table 1 World Oil Supply and Demand“
  16. Thomas Seltmann: Die Reichweite der Kohle wird deutlich überschätzt. In: Pressemitteilung. Energy Watch Group, 3. April 2007, archiviert vom Original am 29. Juli 2013; abgerufen am 8. Februar 2021: „So hatte die Bundesanstalt für Geowissenschaften die deutschen Steinkohlereserven über Jahrzehnte mit 23 bis 24 Milliarden Tonnen angegeben. Im Jahr 2004 wurden sie auf 183 Millionen Tonnen herabgestuft, also um 99 Prozent reduziert.“  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.energywatchgroup.org
  17. Dave Rutledge: Hubbert Analysis for Coal. In: Energy Supplies and Climate. California Institute of Technology, März 2018, abgerufen am 14. Januar 2021.
  18. Ulf von Rauchhaupt: Sonnenfeuer am Boden. In: Die Zeit. Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH, 15. April 1999, abgerufen am 23. Mai 2012: „Auch nach 40 Jahren Forschung und vielen Milliarden an Steuergeldern ist noch immer nicht absehbar, ob die Fusion, die kontrollierte Verschmelzung, von Wasserstoffkernen jemals Strom liefern wird. Optimisten rechnen damit in 30 bis 50 Jahren. Da von Zeitspannen dieser Größenordnung aber schon seit Jahrzehnten geredet wird (Zyniker sprechen bereits von der "Fusionskonstante"), ist die öffentliche Begeisterung nahezu am Nullpunkt angelangt.“
  19. Ralf Nestler: Kernfusion: Fusionsreaktor Iter wird frühestens 2025 fertig. In: Tagesspiegel. Verlag Der Tagesspiegel, 20. November 2015, abgerufen am 16. August 2023: „Den Witz von der „Fusionskonstante“ kennt inzwischen fast jeder: Egal, wann man die Fachleute fragt, es dauert immer „40 bis 50 Jahre“, bis derartige Kraftwerke Strom liefern werden.“
  20. Dirk Asendorpf: Illusion Kernfusion – Der Traum von der besseren Atomenergie. In: SWR2 Wissen. Südwestrundfunk, 22. Juli 2022, abgerufen am 16. August 2023: „Trotzdem soll die Realisierung der Kernfusion in spätestens 30 Jahren so weit sein. Dieses Versprechen begleitet die Fusionsforschung seit den 1960er-Jahren. Zyniker sprechen von der "Fusionskonstante". Denn auch heute noch erwarten selbst die größten Optimisten die erste Stromerzeugung aus einem Fusionskraftwerk in frühestens 30 Jahren.“