Indianerkommune – Wikipedia

Die Indianerkommune war eine antipädagogisch ausgerichtete Kommune, in der pädophile Erwachsene mit Kindern (zumeist Straßenkindern) zusammenlebten. Sie wurde 1975 in Heidelberg gegründet und war ab 1977 in Nürnberg ansässig; Nachfolgeorganisationen existierten noch 2013. Die Ideen der Indianerkommune waren getragen von einem großen Teil der damaligen radikalen Linken[1] und beeinflussten zeitweise die kinder- und jugendpolitische Programmatik der Partei Die Grünen.

Die Mitglieder der Kommune bezeichneten sich selbst als „Indianer“ nach den bedrohten Urvölkern und begriffen sich als von der Mehrheitsgesellschaft bedrohter „Stamm“. Entsprechend bunt bemalt und lautstark vertraten sie in der Öffentlichkeit ihre Forderungen.[1]

Die Indianerkommune war antipädagogisch orientiert und forderte faktisch die vollständige Abschaffung der Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Einzelaspekte aus ihrem Forderungskatalog waren unter anderem die Streichung der Paragraphen 173 bis 176 und 180 des Strafgesetzbuches (also Beischlaf zwischen Verwandten, Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, Homosexuelle Handlungen, Sexueller Missbrauch von Kindern, Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger), ein Scheidungsrecht für Kinder von ihren Eltern, die Abschaffung von Kinder- und Jugendheimen und geschlossenen kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen, ein Verbot jeglicher Gewalt gegen Kinder und Jugendliche und die Abschaffung der Schulpflicht.[2]

Die Indianerkommune entstand 1975 in Heidelberg im Umfeld des Sozialistischen Patientenkollektivs,[3] von dem sie antipsychiatrische Forderungen übernahm.[4] Sie bezeichnete sich selbst als Zusammenschluss „mehrere[r] Jugendliche[r] und Erwachsene[r] mit den gleichen Vorstellungen von Liebe, Leben und Überleben“.[5] Anführer der Kommune war der ehemalige Student Uli Reschke, dem die tageszeitung 1984 einen „autoritäre[n] Umgang wie auch eine pädophile Neigung“ bescheinigte.[6] Nach dem Abriss des von ihr besetzten Hauses in der Heidelberger Hauptstraße[7] zog die Kommune 1977 in den Nürnberger Stadtteil Gostenhof um.

1980 verließ ein Großteil der weiblichen Mitglieder die Indianerkommune und gründete in Berlin die dezidiert weibliche Oranienstraßen-Kommune, aus der 1983 die ebenfalls mit der Indianerkommune kooperierende Kommune Kanalratten hervorging.[8]

Anfang der 1980er Jahre wurde bei einer Hausdurchsuchung bei der Indianerkommune eine Adresskartei mit etwa 2000 Datensätzen sichergestellt. Mit diesen Daten übernahm die Indianerkommune nach Christian Füller eine zentrale Verteilerfunktion für schutzsuchende Jugendliche innerhalb der Pädophilenszene.[9] 1981 kam es zu einem Strafverfahren gegen Reschke wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs von Kindern; Reschke war dreizehneinhalb Monate inhaftiert und wurde in zweiter Instanz freigesprochen.[10] In Tübingen wurde Reschke 1985 gemeinsam mit weiteren Angeklagten, darunter ein Mitglied der Grünen, wegen Kindesentziehung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.[11]

Politisches Engagement

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Die Indianerkommune engagierte sich in der Schwulen-,[12] der Anti-AKW- und der Alternativbewegung, wo sie wegen ihrer störenden Auftritte gefürchtet war.[13] Im Jahr des Kindes 1979 führten Angehörige der Indianerkommune einen Hungerstreik durch.[14] Organisationsmitglieder besetzten mehrfach Redaktionsräume der tageszeitung, um die Veröffentlichung ihrer Forderungen zu erzwingen.[15][16]

Einflussnahme auf die Grünen

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Die 1972 vom späteren Grünen-Mitglied Uli Reschke gegründete Indianerkommune nahm in der Gründungsphase der Grünen Einfluss auf die Programmatik der Partei.[17] Obwohl sie damit beim Gründungsparteitag der Grünen am 13. Januar 1980 scheiterte, behauptete die Indianerkommune in einem Flugblatt, den Abschnitt zu „Kindern und Jugendlichen“ im ersten Parteiprogramm verfasst zu haben; er wurde am 22. Juni 1980 auf der Bundesversammlung der Grünen mit großer Mehrheit angenommen.[18] Werner Vogel, der 1983 für die Grünen in den Deutschen Bundestag gewählt wurde, sein Mandat aber nicht annahm, unterstützte 1982 parteiintern die Anliegen der Indianerkommune.[19] Im Herbst 1983 besetzten jugendliche Mitglieder der Indianerkommune vorübergehend die Bundesgeschäftsstelle der Grünen in Bonn.[20] Gruppen der Indianerkommune störten Grünen-Parteitage, um ihre Forderungen nach straffreien Sexualkontakten zwischen Kindern und Erwachsenen zu verbreiten, darunter den Landesparteitag der Grünen in Nordrhein-Westfalen 1985.[21]

Diese Einflussnahme auf die Grünen wurde 2013, im Rahmen der Pädophilie-Debatte im Bündnis 90/Die Grünen, wieder in der Presse diskutiert.

Nachfolgeorganisationen

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2013 waren ehemalige Mitglieder im „Anti-Kinderklau Aktionsbündnis Kinderrecht“ (AKKAK), im „Forum für anarchistische Kinder und Jugendpolitik“,[20] in der „Jugendselbsthilfe Nürnberg“ und in einem Fahrradladen tätig. Ihre Aktivitäten wurden von der Abteilung Kinder- und Jugendschutz im Jugendamt der Stadt Nürnberg und vom Kinderschutzbund Nürnberg beobachtet.[22]

  • Jan-Henrik Friedrichs: Die Indianerkommune Nürnberg. Kinderrechte – Antipädagogik – Pädophilie, in: Meike Sophia Baader, Christian Jansen, Julia König, Christin Sager (Hg.): Tabubruch und Entgrenzung. Kindheit und Sexualität nach 1968, Köln/Weimar: Böhlau, 2017, S. 251–282.

Einzelnachweise

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  1. a b Nina Apin: Pädo-Aktivisten im linken Mileu: Kuscheln mit den Indianern. taz, 22. April 2010, Zugriff am 22. Juli 2019.
  2. Stephan Klecha: Die Grünen zwischen Empathie und Distanz in der Pädosexualitätsfrage. Springer VS, Wiesbaden 2017, ISBN 978-3-658-07580-4, S. 116 f.
  3. Wolfgang Graf von Lüttichau: Gegen Entfremdung. Pfadfindereien um menschengemäße Wahrheit. Leipzig 2009, ISBN 978-3-923211-59-3, S. 156 (online).
  4. Die Pädophiliedebatte bei den Grünen im programmatischen und gesellschaftlichen Kontext. Erste und vorläufige Befunde zum Forschungsprojekt. (PDF) Göttinger Institut für Demokratieforschung, 16. Dezember 2013, S. 36 f., abgerufen am 3. Juli 2017.
  5. Klaus Schuster: Schrei in die Stille, in: Plärrer 6 (1981), S. 32, zitiert nach Umfang, Kontext und Auswirkungen pädophiler Forderungen innerhalb des Deutschen Kinderschutzbundes. Abschlussbericht des Forschungsprojekts. (PDF) Göttinger Institut für Demokratieforschung, 8. Mai 2015, S. 58, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. März 2018; abgerufen am 3. Juli 2017.
  6. zitiert nach Umfang, Kontext und Auswirkungen pädophiler Forderungen innerhalb des Deutschen Kinderschutzbundes. Abschlussbericht des Forschungsprojekts. (PDF) Göttinger Institut für Demokratieforschung, 8. Mai 2015, S. 58, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. März 2018; abgerufen am 3. Juli 2017.
  7. Micha Hörnle: Heidelberger Hauptstraße: Wie aus der Brauerei in den 1970ern der C&A wurde. In: Rhein-Neckar-Zeitung. 6. Dezember 2016, abgerufen am 3. Juli 2017.
  8. Die Pädophiliedebatte bei den Grünen im programmatischen und gesellschaftlichen Kontext. Erste und vorläufige Befunde zum Forschungsprojekt. (PDF) Göttinger Institut für Demokratieforschung, 16. Dezember 2013, S. 86, abgerufen am 3. Juli 2017.
  9. Christian Füller: Die Revolution missbraucht ihre Kinder. Sexuelle Gewalt in deutschen Protestbewegungen. Hanser, München 2015, ISBN 978-3-446-24726-0, S. 187–189.
  10. Alexander Wendt, Jan-Philipp Hein: Das böse Kapitel der Grünen. In: Focus. 12. August 2013, abgerufen am 3. Juli 2017.
  11. Umfang, Kontext und Auswirkungen pädophiler Forderungen innerhalb des Deutschen Kinderschutzbundes. Abschlussbericht des Forschungsprojekts. (PDF) Göttinger Institut für Demokratieforschung, 8. Mai 2015, S. 62, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 10. März 2018; abgerufen am 3. Juli 2017.
  12. Christian Füller: Dieter Fritz Ullmann. Der pädokriminelle Cheflobbyist. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 3. Oktober 2013, abgerufen am 27. Juni 2017.
  13. Sebastian Haunss: Identität in Bewegung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Heidelberg 2004, ISBN 3-8100-4150-5, S. 220; Online
  14. Katharina Trittel, Jöran Klatt: „Stück für Stück holen wir unsere Kindheit zurück!“ Antipädagogik und Paradoxien des Erziehungsdiskurses. In: Franz Walter, Stephan Klecha, Alexander Hensel (Hrsg.): Die Grünen und die Pädosexualität. Eine bundesdeutsche Geschichte. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2014, ISBN 978-3-647-30055-9, S. 96.
  15. Nina Apin: Kuscheln mit den Indianern. Pädo-Aktivisten im linken Mileu. In: die tageszeitung. 22. April 2010 (taz.de [abgerufen am 12. August 2013]).
  16. Ann-Katrin Müller: Rosa Flieder. In: Der Spiegel. Nr. 22, 2013 (online).
  17. Ann-Katrin Müller und Christian Teevs: Pädophilie-Debatte bei den Grünen. „Ignoranz und mangelnde Souveränität“. In: Der Spiegel. 12. November 2014, abgerufen am 27. Juni 2017.
  18. Frank Schnieder: Von der sozialen Bewegung zur Institution? Die Entstehung der Partei DIE GRÜNEN in den Jahren 1978 bis 1980. Lit, Münster 1998. ISBN 3-8258-3695-9. S. 94
  19. Grünen-Urgestein Werner Vogel unterstützte Pädophilen-Gruppen. In: Focus. Nr. 33/2013, 11. August 2013 (focus.de [abgerufen am 3. Mai 2014]).
  20. a b Klaus Tscharnke: Die Nürnberger „Stadtindianer-Kommune“ gibt es noch. nordbayern.de, 23. Mai 2013, abgerufen am 12. August 2013.
  21. Matthias Drobinski: Tabu und Toleranz. Pädophilie-Vorwürfe gegen die Grünen. In: Süddeutsche Zeitung. 26. Mai 2013 (sueddeutsche.de [abgerufen am 12. August 2013]).
  22. Rüdiger Gollnick: Sexuelle Grenzverletzungen im Lehrer-Schüler-Verhältnis an staatlichen Schulen. Lit, Münster 2013. ISBN 978-3-643-11931-5. S. 200 f.