Jakob Wassermann – Wikipedia

Jakob Wassermann

Jakob Wassermann (* 10. März 1873 in Fürth; † 1. Januar 1934 in Altaussee) war ein deutscher Schriftsteller. Er zählte zu den produktivsten und populärsten Erzählern seiner Zeit.

Jakob Wassermann war das älteste Kind des jüdischen Kurzwarenhändlers Adolf Wassermann und seiner Frau Henriette Wassermann, geborene Traub. Die Familie wechselte in Fürth mehrfach die Wohnung, den größten Niederschlag in seinem Werk fand das Anwesen Theaterstraße 17, in dem später auch Ruth Weiss lebte (Gedenktafel); eine der ersten Novellen Wassermanns, Schläfst du, Mutter? (1897), handelt überwiegend in der elterlichen Wohnung im ersten Stock, in der die Mutter Henriette (laut Todesanzeige: Jette) am 5. September 1882 an den Folgen einer Mittelohrentzündung verstarb.

Jakob Wassermann
(1899 von Emil Orlik)

Nach Abschluss der Königlichen Realschule in Fürth[1] hätte Wassermann wie sein Vater, ein jüdischer Spielwarenfabrikant und Gemischtwarenhändler, Kaufmann werden sollen, brach aber die 1889 in Wien begonnene Lehre ab, weil er sich zum Schreiben berufen fühlte. Nach einjährigem Militärdienst in Würzburg, kurzer Tätigkeit in einer Versicherung und einer ziellosen Wanderzeit in Süddeutschland wurde er Sekretär bei Ernst von Wolzogen und begegnete durch dessen Vermittlung 1896 in München dem Verleger Albert Langen, der ihn in die Redaktion der Zeitschrift Simplicissimus aufnahm. Bei Langen veröffentlichte Wassermann nach seinem Erstling Melusine – Ein Liebesroman (1896) weitere Prosaarbeiten, darunter den Roman Die Juden von Zirndorf (1897, Neuausgabe 1906), eine Chronik aus dem 17. Jahrhundert über das Leben des Shabbetaj Zvi, mit einer anschließenden Beschreibung der jüdischen Gemeinde in der fränkischen Kleinstadt im 19. Jahrhundert.

In München, wo Wassermann fast drei Jahre wohnte, gewann er die Freundschaft Thomas Manns und Rainer Maria Rilkes. Ende 1897 begann er, Feuilletons und Theaterberichte für die Frankfurter Zeitung zu schreiben, in deren Auftrag er später nach Wien übersiedelte, wo er sich den Dichtern des Jung-Wien anschloss, besonders Arthur Schnitzler. Mit Beginn des Jahres 1900 endete Wassermanns Tätigkeit für die Frankfurter Zeitung, da ihm u. a. vorgeworfen wurde, nicht neutral Bericht zu erstatten.[2]

1899 wurde Wassermann Autor des Berliner Verlags Samuel Fischer, bei dem 1901 der Roman Die Geschichte der jungen Renate Fuchs erschien. Im selben Jahr heiratete er die aus einer wohlhabenden Wiener Familie stammende Julie Speyer. Ihre vier Kinder werden zwischen 1901 und 1915 in Wien geboren.[3] Seit Beginn seiner literarischen Tätigkeit verfasste Wassermann parallel journalistische bzw. essayistische Texte (unter anderem Die Kunst der Erzählung, 1904) und erzählerische Arbeiten, die aber kaum ein Echo fanden (Der Moloch, 1902; Alexander in Babylon, 1905). Selbst der von der Kritik positiv aufgenommene Roman Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens (1908) verkaufte sich anfangs nur schlecht. Erst kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs, der ihn in tiefe Zweifel stürzte – von der Meldung zum Kriegsdienst hielt ihn seine Frau ab –, vollendete Wassermann zum ersten Mal einen Roman, der eine hohe Auflage erreichte: Das Gänsemännchen (1915). Das Werk ist eine Anklage gegen die Philistrosität des Kleinbürgertums, das den Genius verfolgt und vernichtet.

Villa Wassermann in Altaussee

Nach Kriegsende kam der zweibändige Roman Christian Wahnschaffe (1919, Neuausgabe 1932) heraus, die Lebensgeschichte eines Großbürgersohns, die Wassermann seiner neuen Lebensgefährtin Marta Stross, geborene Karlweis, widmete. Mit der 16 Jahre jüngeren Schriftstellerin übersiedelte er 1919 nach Altaussee, nachdem er seine Frau verlassen hatte, die jedoch die Scheidung durch immer neue Prozesse und Geldforderungen bis 1926 hinauszögerte. Am 21. Februar 1924 kam der Sohn des Paares, Carl Ulrich (Charles), zur Welt. Aus ihrer ersten Ehe hat sie bereits die beiden Töchter Bianca und Emmy Stross. Ein Echo des Beziehungskonflikts mit Julie klingt im Roman Laudin und die Seinen (1925) nach. Marta wurde 1926 Wassermanns zweite Frau und seine erste Biographin. In Altaussee pflegte er freundschaftlichen Umgang mit Hugo von Hofmannsthal.

In den späten 1920er und frühen 1930er Jahren gewann Wassermann Weltruhm mit mehreren Romanen, die eine Neigung zum Sensationellen aufweisen. Wassermanns Werke, die noch heute in zahlreichen Ausgaben verbreitet sind, besitzen ihren Wert auch als Dokumente ihrer Epoche. Von der Psychoanalyse und dem Stil Dostojewskis beeinflusst, spürte Wassermann subtil den Seelennuancen seiner Figuren nach. Helga Abret schreibt hierzu:

„Wassermann, von Langen entdeckt und gefördert, gehörte zu den erfolgreichsten Romanciers der Wilhelminischen Zeit. Geschickt verstand er es, das Interesse des Lesers seiner Zeit an historischen Stoffen oder an der skandalumwitterten Gestalt des Caspar Hauser […] mit einer modernen psychologischen Erzählweise zu verbinden. Doch liefen ihm jüngere psychologische Erzähler wie Stefan Zweig schon zu Lebzeiten formal den Rang ab. Dass die Versuche, Wassermann nach dem Zweiten Weltkrieg wieder einer breiteren Leserschaft zugänglich zu machen, von keinem überzeugenden Erfolg gekrönt waren, mag teilweise an seiner exaltiert-hochgestimmten Sprache liegen, die heute fremd und oft unecht klingt. Zum anderen ist Wassermann ein ‚moralisierender‘ Autor, für den gesellschaftliche Missstände das Ergebnis moralischer Fehlentwicklungen sind.“

Helga Abret: Albert Langen. Ein europäischer Verleger, S. 388.

In der Überzeugung, er könne durch Literatur ein neues Menschentum fördern, kämpfte Wassermann gegen jede Form von Trägheit des Herzens und für den Triumph der Gerechtigkeit. Dieses Vorhaben bildet auch den Kern von Wassermanns berühmtestem Prosawerk, Der Fall Maurizius (1928), in dem der sechzehnjährige Etzel Andergast in jugendlicher Überschwänglichkeit einen Justizirrtum aufdeckt, der achtzehn Jahre zuvor begangen wurde. Irrtümlich wurde das Werk lange Zeit als Reflex des Falles Hau angesehen. Als lose Fortsetzungen dieses virtuosen Romans können zwei weitere Werke gelten: Etzel Andergast (1931) und Joseph Kerkhovens dritte Existenz (postum 1934). Theodor Lessing schrieb im Zusammenhang mit dem Fall Halsmann: „Nur ein einziger, Jakob Wassermann, der das schönste aller Gerechtigkeitsbücher, die Geschichte des jungen Etzel schuf, erklärte öffentlich, daß er nicht rasten wolle, bis ihm die Rehabilitierung des offenbar verunrechteten Halsmann geglückt sei.“[4]

Grabstätte Jakob Wassermanns, seines Sohnes „Charles“ und seiner Schwiegertochter Jacqueline

Neben den Romanen schrieb Wassermann erfolgreiche Biographien (Christoph Columbus, 1929) und setzte seine Essayistik fort, in der er sich immer wieder auch mit der Existenzform des Juden in nichtjüdischer Umgebung befasste (Mein Weg als Deutscher und Jude, 1921[5]) – zuletzt noch 1933, dem Jahr seines Ausschlusses aus der Preußischen Akademie der Künste, veröffentlichten Selbstbetrachtungen. Gleichzeitig mit der Bücherverbrennung 1933 in Deutschland wurden seine Bücher verboten, obwohl er bis dahin einer der meistgelesenen Autoren war. Das bedeutete für ihn nicht nur den materiellen Ruin, sondern vor allem den Zusammenbruch seiner lebenslang gehegten Hoffnungen, durch sein Werk mithelfen zu können, eine Welt des Friedens ohne nationale Spannungen und ohne Rassenhass aufzubauen. Wassermann starb am 1. Januar 1934 im Alter von 60 Jahren in Altaussee, verarmt und psychisch gebrochen. Robert Neumann berichtet in seiner Autobiografie, dass eine möglicherweise absichtlich falsche Verbindung – Telefonate mussten damals noch manuell durchgestellt werden – schuld gewesen sein müsse an dem erlittenen Schlaganfall. Wassermann hatte seinen Verleger um einen dringend benötigten Vorschuss von 2000 Reichsmark bitten wollen und war durch die falschen Auskünfte mehr als niedergeschlagen. Neumann berichtete darüber hinaus, dass ihn seine frühe Begegnung mit Wassermann, der ihn als „vollkommen unbegabt“ abkanzelte, zum Ergreifen des Schriftstellerberufs entscheidend anstachelte.[6]

Das Grab von Jakob Wassermann befindet sich auf dem Friedhof Altaussee in Österreich.

Wassermanns Privatbibliothek wurde ebenso wie seine Villa 1935 versteigert und ging in den Besitz des Hoteliers Michael Frischmuth über. Dieser fügte der Sammlung wohl auch einige nationalsozialistische Titel hinzu, die diese bis heute enthält. Nachdem Frischmuth im Zweiten Weltkrieg gefallen war, hatte die Familie wohl keine Verwendung mehr für die Bibliothek und verkaufte sie in den 1960er Jahren an die Stadtbibliothek Nürnberg, die in dieser Zeit passende Bestände für ein geplantes Institut für Fränkische Literatur suchte. Dort befindet sich die 2 800 Bände zählende Sammlung bis heute.[7]

Jakob-Wassermann-Preis

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1993 stiftete die Stadt Fürth einen Jakob-Wassermann-Literaturpreis, den sie alle zwei bis drei Jahre verleiht.

Werke (Auswahl)

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Josef Benedikt Engls Illustration der satirischen Kurzgeschichte „Das neue Licht“ im Simplicissimus. 1896, Band 1, Heft 2, S. 4
Faustina (1912)
  • Lorenzo Bellettini: Der Seismograf und der Grosserzähler, in Neue Zürcher Zeitung, 15. Januar 2011, S. 63; online
  • Daniela Eisenstein, Dirk Niefanger, Gunnar Och (Hrsg.): Jakob Wassermann. Deutscher, Jude, Literat. Wallstein, Göttingen 2007, ISBN 3-8353-0158-6
  • Stephen H. Garrin: The concept of justice in Jakob Wassermann's trilogy. Lang, Bern 1979. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Dt. Sprache u. Literatur; 267) ISBN 3-261-03154-9
  • Birgit Gottschalk: Das Kind von Europa. Zur Rezeption des Kaspar-Hauser-Stoffes in der Literatur. Dt. Universitätsverlag, Wiesbaden 1995, ISBN 3-8244-4166-7
  • Hermann Greissinger: „In die vierte Existenz vielleicht“. Konzeptionen von „Leben“ und „Nicht-Leben“ im Werk von Jakob Wassermann und in den Erzähltexten der frühen Moderne. Eine semiotisch-strukturale Werk- und Epochenanalyse. Lang, Bern 1986. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 933) ISBN 3-261-03597-8
  • Christa Joeris: Aspekte des Judentums im Werk Jakob Wassermanns. Shaker, Aachen 1996, ISBN 3-8265-1720-2
  • Rudolf Kayser: Jakob Wassermann. In Zeitschrift für die Geschichte der Juden, Heft 1. Olamenu, Tel Aviv 1970, S. 37–44
  • Rudolf Koester: Jakob Wassermann. Morgenbuch, Berlin 1996. (= Köpfe des 20. Jahrhunderts; 122) ISBN 3-371-00384-1
  • Thomas Kraft: Jakob Wassermann, dtv, München 2008, ISBN 978-3-423-24705-4
  • Heike Lindemann-Luiken: Es ist vergeblich … Sie sagen: „Er ist ein Jude.“ Die Auswirkungen des Antisemitismus im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auf Leben und Werk Jakob Wassermanns. Peter Lang, Frankfurt 2005 (= Kölner Studien zur Literaturwissenschaft, Bd. 14) ISBN 3-631-54100-7
  • Markus Malo: Behauptete Subjektivität. Eine Skizze zur deutschsprachigen jüdischen Autobiographie im 20. Jh. Reihe Conditio Judaica, 74. Niemeyer, Tübingen 2009[13]
  • Beatrix Müller-Kampel:
  • Martin Neubauer: Jakob Wassermann. Ein Schriftsteller im Urteil seiner Zeitgenossen. Lang, Frankfurt 1994. (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 1485) ISBN 3-631-47919-0
  • Nicole Plöger: Ästhet, Ankläger, Verkünder. Jakob Wassermanns literarische Anfänge 1890–1900. Ergon, Würzburg 2007, ISBN 3-89913-584-9
  • Erwin Poeschel: Jakob Wassermann. In: Juden in der deutschen Literatur. Welt-Verlag Berlin 1922, S. 76–100.
  • Regina Schäfer: Plaidoyer für Ganna. Männer und Frauen in den Romanen Jakob Wassermanns. Niemeyer. Tübingen 1992 (= Untersuchungen zur deutschen Literaturgeschichte; 62) ISBN 3-484-32062-1
  • Reiner Scheel: Literarische Justizkritik bei Lion Feuchtwanger, Robert Musil, Wassermann und Arnold Zweig. Klartext, Essen 2008, ISBN 978-3-89861-919-6
  • Esther Schneider-Handschin: Das Bild des Bürgertums in Jakob Wassermanns „Andergast-Trilogie“. Peter Lang, Bern 1990 (= Europäische Hochschulschriften; Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur; 1170) ISBN 3-261-04164-1
  • Kaspar Schnetzler: Der Fall Maurizius. Jakob Wassermanns Kunst des Erzählens. Peter Lang, Bern 1968
  • Wolfgang Schoberth & Doris Leithner: Text und Kommentar zu „Die Gefangenen auf der Plassenburg“. Buchners Schulbibliothek der Moderne, H. 22, Bamberg 2005, ISBN 3-7661-3972-X
  • Marion Weindl: Funktion und Konstruktion des Erzählkunstwerks. Königshausen & Neumann, Würzburg 1995 (= Epistemata; Reihe Literaturwissenschaft; 144) ISBN 3-8260-1010-8
  • Stefan Zweig: „Jakob Wassermann“ Essays – Auswahl 1907–1924. Insel-Verlag 1983, S. 31–51.

Digitalisate und Onlinefassungen

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Commons: Jakob Wassermann – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Artikel über Leben und Werk

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Einzelnachweise

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  1. heute Hardenberg-Gymnasium.
  2. Briefwechsel zwischen Paul Goldmann und Arthur Schnitzler, DLA, A:Schnitzler, HS.NZ85.1.3169
  3. Adolf Albert (1901–1971), Georg Maximilian (1903–1968), Judith (1906–) und Eva Agathe (1915–1979): https://www.deutsche-biographie.de/pnd117149136.html und https://www.geni.com/people/Karl-Wassermann/6000000008300786361. Die vergleichbaren Angaben stimmen überein. Die zweite Datenbank ist umfangreicher als die erste.
  4. Halsmann: Tragödie der Jugend (1930), in: Rainer Marwedel (Hg.), Haarmann – Die Geschichte eines Werwolfs, München 1995, S. 246. Mit ”Gerechtigkeitsbuch” ist der Roman Der Fall Maurizius von 1928 gemeint.
  5. a b Digitalisat online bei Archive.org
  6. Robert Neumann: Ein leichtes Leben, S. 367ff
  7. Julia Schneidawind: Unliebsame Neuzugänge | Mimeo. Abgerufen am 23. Mai 2021.
  8. http://jakob-wassermann.de/werk/buch.htm
  9. als Hörbuch bei AS-AudioWissen
  10. als Schul-Text-Ausgabe 2011 im Verlag C. C. Buchners, Bamberg. Reihe: Buchners Schulbibliothek der Moderne. Text und Kommentar. Autoren der Kommentare Doris Leithner, Wolfgang Schoberth. Für Sek. 1 ab Jg. 10 und Sek. 2. Oberstufenschüler machten vor Ort Untersuchungen zu versch. Aspekten der damaligen Haft und der 1848er Bewegung. ISBN 978-3-7661-3972-6. Auch im folgenden Band enth.
  11. In eine Rahmenhandlung sind 16 verschiedene Erz. eingefügt. Zwei davon wurden auch einzeln publiziert: „Die Gefangenen...“ und „Geronimo de Aguilar“
  12. siehe vorige Anm.
  13. neben W. werden ausführlich behandelt: Werner Kraft, Gershom Scholem, Max Fürst, Ernst Toller, Ludwig Greve, Ruth Klüger und Georges-Arthur Goldschmidt