Kulturbund Deutscher Juden – Wikipedia

Berliner Gedenktafel: Kurt Singer und der Kulturbund Deutscher Juden
Kurt Singer dirigiert Judas Maccabaeus mit dem Orchester des Kulturbundes Deutscher Juden in der Berliner Philharmonie, Bernburger Straße, am 7. und 8. Mai 1934
Ilse Liebenthals (1910–1992) Mitgliedsausweis (1938–39).
Gedenktafel, Kommandantenstraße 58 nahe dem Standort des zerstörten Herrnfeld-Theaters in Berlin-Kreuzberg

Der Kulturbund Deutscher Juden, ab April 1935 Jüdischer Kulturbund,[1] war im nationalsozialistischen Deutschland eine von jüdischen Initiatoren ins Leben gerufene Selbsthilfeorganisation für vom Berufsverbot betroffene jüdische Künstler. Behördlich wurde der Kulturbund bis 1941 geduldet und zur Kontrolle und Isolierung der jüdischen Künstler eingesetzt.

Der Kulturbund wurde im Juli 1933 in Berlin als Reaktion auf die zuvor erfolgten Entlassungen jüdischer Künstler aus den staatlichen Kulturbetrieben infolge des Berufsbeamtengesetzes gegründet. Initiatoren des Bundes, der zunächst die Bezeichnung Kulturbund Deutscher Juden 1933 trug, waren der Regisseur Kurt Baumann und der Neurologe, Musikwissenschaftler sowie ehemalige Intendant der Städtischen Oper Berlin Kurt Singer. In den ersten Jahren traten dem Berliner Kulturbund etwa 20.000 Mitglieder bei.[2]

Als Ausgrenzungsprodukt und Selbsthilfeorganisation hatte der Bund mit dem besonderen „jüdischen“ Kunstwollen, das die Nationalsozialisten dem Bund später propagandistisch zuschrieben, von jüdischer Seite her nichts zu tun. Der durch Mitgliedsbeiträge finanzierte Bund sollte den arbeitslosen Künstlern in erster Linie neue Erwerbsmöglichkeiten verschaffen. Die ursprüngliche Bezeichnung Kulturbund Deutscher Juden musste im April 1935 aufgegeben werden, da eine Verknüpfung der Worte „deutsch“ und „jüdisch“ politisch unerwünscht war. Er musste umbenannt werden in Jüdischer Kulturbund.[1]

Dem Vorbild der Berliner Gründung folgten Kulturbünde in zahlreichen weiteren Städten. 1935 gab es mehr als 36 regionale und lokale Kulturbünde mit etwa 70.000 Mitgliedern. Die Einzelbünde wurden gezwungen, sich bis zum August 1935 im Reichsverband jüdischer Kulturbünde in Deutschland (RJK) zusammenzuschließen. Der RJK wurde dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt. Die Veranstaltungen des Bundes, die der Zensur unterlagen und von der Gestapo überwacht wurden, mussten einzeln vom Reichskulturwalter Hans Hinkel genehmigt werden. Um die Tätigkeit der Kulturbünde zu sichern, richtete der RJK darüber hinaus eine Selbstzensur ein. Im Juli 1937 waren unter dem Dach des RJK 120 selbstständige Organisationen, darunter auch Synagogen und Kulturvereine, vereinigt.

Veranstaltungen des Kulturbundes fanden vor allem in Berlin fast täglich statt. 1933–1935 waren in Berlin das Berliner Theater und danach das Gebrüder-Herrnfeld-Theater, Kommandantenstraße 57, ihre Spielorte. Regisseur der ersten Berliner Aufführung am 1. Oktober 1933, gespielt wurde Lessings Nathan der Weise, war Karl Löwenberg, die Titelrolle spielte Kurt Katsch.[3]

1935 wurde die Berliner Kulturbund-Oper unter Leitung Kurt Singers gegründet. Auch der Hamburger Kulturbund war sehr aktiv. Das Veranstaltungsprogramm umfasste Theater- und Opernaufführungen, Konzerte, Kleinkunstveranstaltungen, Filmvorführungen, Vorträge und Ausstellungen. Zu den Künstlern, die dabei auftraten, gehörten u. a. Julius Bab, Alfred Dreifuß, Arthur Eloesser, Erna Feld und Leo Menter.

Um jeden Austausch zwischen der jüdischen und der nicht-jüdischen Kulturwelt zu unterbinden, wurden Nicht-Juden bei den Veranstaltungen des Kulturbundes weder als Besucher noch als Mitwirkende zugelassen. Auch durfte der Kulturbund im Rahmen seiner Veranstaltungen immer seltener Arbeiten solcher Autoren und Komponisten aufführen, die als besonders „deutsch“ galten. Innerhalb der jüdischen Öffentlichkeit wurde über diese Situation eines geistigen Gettos kontrovers diskutiert.

Auf die Novemberpogrome 1938 folgte die zwangsweise Schließung der meisten Einrichtungen. Nur der Berliner Kulturbund erhielt aus propagandistischen Gründen von Joseph Goebbels die Erlaubnis, weiter tätig zu sein. Der RJK wurde 1939 aufgelöst, an seine Stelle trat der aus dem Berliner Kulturbund hervorgegangene „Jüdische Kulturbund in Deutschland e. V.“, der alle jüdischen Kulturveranstaltungen verantwortete und selbst durchführte. Außerhalb von Berlin fanden damit nur noch selten Veranstaltungen statt. Die Flucht vieler bedeutender jüdischer Künstler trug ein Übriges zum Niedergang des Kulturbundes bei. Am 11. September 1941 wurde der Bund von der Gestapo aufgelöst. Viele seiner Mitglieder und Funktionäre, darunter auch der Gründer, Kurt Singer, wurden deportiert und im Holocaust ermordet.

  • Akademie der Künste (Hrsg.): Fritz Wisten. Drei Leben für das Theater. Stuttgart 1919–1933, Jüdischer Kulturbund, Berlin 1945–1962 (= Stätten der Geschichte Berlins, 45). Edition Hentrich, Berlin 1990, ISBN 3-926175-69-9
  • Akademie der Künste (Hrsg.): Geschlossene Vorstellung. Der Jüdische Kulturbund in Deutschland 1933–1941 (= Reihe: Deutsche Vergangenheit. Band 60). Hentrich, Berlin 1992, ISBN 3-89468-024-5 (anlässlich der gleichnamigen Ausstellung vom 27. Januar bis 26. April 1992 in der Akademie der Künste)
  • Moritz von Bredow: Rebellische Pianistin. Das Leben der Grete Sultan zwischen Berlin und New York. Schott, Mainz 2012, ISBN 978-3-7957-0800-9 (Biographie. Viele Bezüge zum Jüdischen Kulturbund bzw. dem Kulturbund Deutscher Juden sowie dem Berliner Musikleben).
  • Herbert Freeden: Jüdisches Theater in Nazideutschland. Ullstein Materialien. Frankfurt/Berlin, Ullstein 1985, ISBN 3-548-35233-2.
  • Eike Geisel, Henryk M. Broder: Premiere und Pogrom. Der Jüdische Kulturbund 1933–1942. Siedler, Berlin 1992, ISBN 3-88680-343-0
  • Martin Goldsmith: Die unauslöschliche Symphonie. Musik und Liebe im Schatten des Dritten Reiches – eine deutsch-jüdische Geschichte. Herder, Freiburg 2002, ISBN 3-451-27307-1
  • Barbara Müller-Wesemann: Theater als geistiger Widerstand. Der Jüdische Kulturbund in Hamburg 1934–1941. M und P – Verlag für Wissenschaft und Forschung, Stuttgart 1996, ISBN 3-476-45167-4 (Zugl.: Universität Hamburg, Dissertation 1995)
  • Jörg Osterloh: Kulturbund deutscher Juden. In: Karin Althaus u. a. (Hrsg.): Kunst und Leben. 1918 bis 1955. Lenbachhaus, München / Deutscher Kunstverlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-88645-210-1, S. 308–310
  • Sylvia Rogge-Gau: Die doppelte Wurzel des Daseins. Julius Bab und der Jüdische Kulturbund Berlin (= Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin. Reihe Dokumente, Texte, Materialien, 30). Metropol, Berlin 1999, ISBN 3-932482-14-X (Zugl.: Technische Universität Berlin, Dissertation 1998: Julius Bab und der Jüdische Kulturbund Berlin.)
  • Rebecca Rovit: The Jewish Kulturbund Theatre Company in Nazi Berlin. University of Iowa Press, Iowa City IA 2012, ISBN 978-1-60938-124-0
  • Rebecca Rovit: Kulturbund Deutscher Juden. In: Dan Diner (Hrsg.): Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur (EJGK). Band 3: He–Lu. Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02503-6, S. 444–448
  • Stephan Stompor: Jüdisches Musik- und Theaterleben unter dem NS-Staat. Hrsg. von Andor Izsák, Susanne Borchers. Hannover : Europ. Zentrum für Jüdische Musik, 2001
  • Gabriele Fritsch-Vivié: Gegen alle Widerstände. Der Jüdische Kulturbund 1933–1941. Fakten, Daten, Analysen, biographische Notizen und Erinnerungen. Vorwort Jakob Hessing. Hentrich & Hentrich, Berlin 2013, ISBN 978-3-95565-005-6
  • Stadtmuseum München: Die gefesselte Muse. Das Marionettentheater im Jüdischen Kulturbund München. Text Waldemar Bonard. München 1994 (Ausstellung April bis Oktober 1994, Puppentheatermuseum).
Commons: Kulturbund Deutscher Juden – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Der jüdische Kulturbund Rhein Main/Frankfurt am Main,Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main
  2. Hans-Rainer Sandvoß (Red.): Widerstand 1933–1945. Berlin. Heft 5: Heinrich-Wilhelm Wörmann: Widerstand in Charlottenburg. 2. Auflage. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin 1998, S. 238.
  3. Kulturbund Deutscher Juden: Monatsblätter