Lignose Hörfilm System Breusing – Wikipedia

Das Unternehmen Lignose Hörfilm System Breusing GmbH war eine deutsche Tonfilmgesellschaft, die lediglich von 1928 bis 1933 existierte und ihre Geschäftsräume im Haus Lindenstraße 32–34 in Berlin hatte.

Der deutsche Bühnenautor, Liedtextdichter, Verleger, Filmregisseur, Produzent und Drehbuchautor Heinrich Bolten-Baeckers gründete 1909 in Berlin die Produktionsgesellschaft BB-Film-Fabrikation Bolten-Baeckers, die bis 1923 anspruchslose Unterhaltungsfilme für die UFA produzierte. Ihr Studio, das B.B.-Atelier, befand sich in Berlin-Steglitz. Bolten gab es aber 1918 auf, um in das 1912 gegründete Vitascope-Atelier im Haus Lindenstraße 32–34 umzuziehen.[1]

Bei der AG Lignose (vormals Oberschlesische Sprengstoff-AG), die nach Ende des Ersten Weltkriegs verstärkt Produkte aus Schießbaumwolle wie Zelluloid herstellte, hatte Bolten die Generalvertretung für Lignose-Rohfilm übernommen. Im Januar 1928 gründete er gemeinsam mit der AG Lignose das Unternehmen Lignose-Hörfilm System Breusing GmbH, die das Tonverfahren von Kurt Breusing verwerten sollte.[2]

Kurt (auch: Curt) Breusing war ein Schüler von Adolf Miethe und hatte bereits um 1920 mit ersten Versuchen zum Tonfilm begonnen.[3] Im Juni 1923 führte Breusing dann die Ergebnisse seiner Forschungen erstmals öffentlich vor. Beim System Breusing handelte es sich um ein Nadeltonverfahren, bei dem der Filmton auf einer synchron mit dem Bildfilm ablaufenden Schallplatte gespeichert war. Die Herstellung der Schallplatten übernahm die Berliner Artiphon-Record[4][5], ein Unternehmen von Herrmann Eisner (* 24. März 1860 in Brieg, Schlesien; † 7. März 1927 in Berlin)[6].

Nachdem Boltens Verhandlungen über eine Zusammenarbeit mit der UFA gescheitert waren, weil diese über den Erwerb der für die Vorführung notwendigen Apparaturen hinaus keine weiteren Investitionen tätigen wollte[7], wurde der erste Lignose-Hörfilm im Mai 1928 in Dresden auf der Jahresschau Deutscher Arbeit „Die technische Stadt“ öffentlich aufgeführt.[8] Er zeigte den Aufzug der Wache vor dem Berliner Schloss, begleitet von Militärmusik. Insgesamt entstanden 1928 vier „Lignose-Hörfilme“ nach dem System Breusing.[9]

Eine spätere Vorführung im Rahmen einer Berliner Theaterrevue veranlasste die erste Beschäftigung der Filmzensur mit dem neuen Medium Tonfilm.[10]

Nach ihrem Erwerb durch die IG Farbenindustrie AG lehnte sich die Lignose-Hörfilm in der Art ihres Tonverfahrens an die British Photophone an, die Lichtton mit „Zackenschrift“ (Amplitudenverfahren) benutzte.[11] Breusings Lichtton-Versuche mit der Braun’schen Röhre hatten nicht zu praktikablen Ergebnissen geführt.[12]

Die am 3. Oktober 1928 gegründete Klangfilm GmbH erwarb Anfang 1929 von der British Photophone die Mehrheit der Lignose-Hörfilm-Patente.[13]

Ende 1931 übernahm die Tobis Melofilm GmbH, eine Tochtergesellschaft der Tobis Industrie-GmbH, das B.B.-Atelier. Hier entstanden Atelieraufnahmen für Kultur-, Spiel- und Kurzfilme. Außerdem wurden hier stumme Filme nachsynchronisiert.[14]

Bruno Suckau arbeitete ab April 1930 als fest angestellter Film-Toningenieur für die Lignose-Hörfilm und die UFA, ehe er ein eigenes Unternehmen gründete.

  1. Lignose Hörfilm System Breusing. Deutschland 1928, Kurz-Dokumentarfilm (1 Akt, 180 m), Zensur: 11. Mai 1928, Prüf-Nr. B.18996, jugendfrei.
  2. Lignose-Hörfilm System Breusing. Deutschland 1928, Kurz-Dokumentarfilm (4 Akte, 337 m), Zensur: 21. Juni 1928, Prüf-Nr. B.19316, jugendfrei.
  3. Lignose-Hörfilm System Breusing. Deutschland 1928, Kurz-Dokumentarfilm (2 Akte, 208 m), Zensur: 17. August 1928, Prüf-Nr.B.19761, Jugendverbot.
  4. Lignose Hörfilm System Breusing “Man wird doch wohl noch fragen dürfen”. Deutschland 1928, (1 Akt, 113 m), Zensur: 20. August 1928, Prüf-Nr. B.19843, genehmigt; Zensur: 29. August 1928, Prüf-Nr. O.00748, genehmigt.[15] Darsteller war Hubert von Meyerinck.[16]
  5. Lignose-Hörfilm Deutschland 1928/1929, Kurz-Dokumentarfilm (509 m, 19 min), Zensur: 7. Februar 1929, Prüf-Nr. B.21630, jugendfrei.[17]

Der erste schwedische Tonfilm Säg det i toner (Sag es mit Tönen) (Julius Jaenzon och Edvin Adolphson 1929),[18][4] der erste polnische Tonfilm Na Sybir (Nach Sibirien) (Henryk Szaro 1930)[19], aber auch der deutsche Experimentalkurzfilm Ins Blaue hinein, das Regiedebüt des Kameramannes Eugen Schüfftan, entstanden wahrscheinlich 1930[20], waren Lignose-Hörfilme. Der deutsche Kurzspielfilm Die Hasenpfote von 1932[21] war der vermutlich letzte in eigener Produktion erstellte Lignose-Hörfilm.

Beteiligt war die Lignose-Hörfilm an einer Produktion mit dem Titel Deutschland erwacht, die 1933 von der Deutschen Film-Gesellschaft und der NSDAP hergestellt wurde. Auftraggeber war die Reichspropagandaleitung der NSDAP, Hauptabteilung IV (Film) (Berlin). Der Dokumentarfilm mit dem Untertitel „Ein Dokument von der Wiedergeburt Deutschlands“ hatte eine Länge von 1565 Metern und war 57 Minuten lang.[22]

  • Támàs B. Báko: Restoration of nonlinearly distorted optical soundtracks … 2004, (englisch; PDF; 7,3 MB)
  • Herbert Birett: Stummfilmmusik. (Materialsammlung) Deutsche Kinemathek, Berlin 1970.
  • Hans Böhm: Der Lignose-Hörfilm System Breusing. In: Die Kinotechnik vom 5. Juni 1928, S. 10–11 (online auf filmsoundsweden.se)
  • Ernesto Cauda: Cinematografia sonora. Elementi teorico-pratici. Hoepli, Milano 1930 (italienisch).
  • Raymond Fielding: A Technological History of Motion Pictures and Television. University of California Press, 1967, S. 115 (englisch).
  • Ralf Forster: Boehner, Fritz (eigentl. Friedrich Karl). In: Sächsische Biografie. (hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e. V., bearb. von Martina Schattkowsky) (online, aufgerufen 5. Mai 2014).
  • „Die Technische Stadt“. Siebente Jahresschau Deutscher Arbeit Dresden 1928. (Ausstellungskatalog) Verlag der Jahresschau Deutscher Arbeit, Dresden 1928.
  • Zahlen aus der sächsischen Volkswirtschaft mit einer farbigen Kartenbeilage, wichtige Standorte sächsischer Industrien (Stand „Elektrizität im Bankbetrieb“, Halle 15) Gebr. Arnhold, Dresden 1928.
  • Lodewijk Lichtveld: De geluidsfilm. W.L. en J. Brusse’s Uitgeversmaatschappij. Rotterdam 1933 (niederländisch).
  • Wolfgang Mühl-Benninghaus: Das Ringen um den Tonfilm. Strategien der Elektro- und der Filmindustrie in den 20er und 30er Jahren. (= Schriften des Bundesarchivs, Band 54.) Droste Verlag, Düsseldorf 1999, ISBN 3-7700-1608-4.
  • Tonfilm-Programm im Universum. Tonfilme der RCA, Klangfilm, Lignose-Breusing, Universal. In: Hans Wollenberg, Filmpublizist. (mit Kritiken und Aufsätzen von Hans Wollenberg, Essay von Ulrich Döge) Edition Text + Kritik, München 2013.[23]
  • Hans Wollenberg (Hrsg.), Heinz Umbehr (Red.): Der Tonfilm. Grundlagen und Praxis seiner Aufnahme und Wiedergabe. (= Bücher der Praxis, Band IV.) Verlag der „Lichtbildbühne“, Berlin 1930, S. 72–73 und S. 260, Abb. 154.
  • Friedrich von Zglinicki: Der Weg des Films. Geschichte der Kinematographie und ihrer Vorläufer. Rembrandt Verlag, Berlin 1956.

Einzelnachweise und Anmerkungen

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  1. Vitascope-Atelier. In: Berliner Film-Ateliers. Ein kleines Lexikon. cinegraph.de, abgerufen am 15. Mai 2014.
  2. vgl. Mühl-Benninghaus, 1999, S. 45.
  3. vgl. Wollenberg, 1930, S. 72–73; Zglinicki, 1956, S. 631 f.
  4. a b Säg det i toner : En Stockholmsberättelse (1929) in der Svensk Filmdatabas des Svenska Filminstitutet, abgerufen am 4. Oktober 2024 (englisch/schwedisch)
  5. Abbildung einer Werbekarte auf grammophon-platten.de, abgerufen am 15. August 2018
  6. Hugo Strötbaum: Hermann/Herrmann Eisner. In: recording Pioneers. Abgerufen am 15. Mai 2014 (englisch).
  7. Mühl-Benninghaus, 1999, S. 45.
  8. johannstadtarchiv.de, abgerufen am 15. August 2018: „Als eine weitere Neuheit wurde der ‚tönende und sprechende Film‘ nach dem System Breusing erstmalig zur Ausstellung vorgestellt. Der Probefilm zeigte den Wachaufzug vor dem Berliner Schloss mit zünftiger Marschmusik und wurde von den staunenden Zuschauern mit großer Bewunderung betrachtet. Zugleich warf die technische Neuerung auch viele Fragen auf.“ – Veranstalter war der aus Erlangen stammende Unternehmer und Filmproduzent Fritz (eigentlich Friedrich Karl) Boehner (* 29. Mai 1896; † 29. Juni 1959), vgl. saebi.isgv.de, abgerufen am 15. August 2018: „Im Mai 1928 beteiligte sich sein Unternehmen an der Debatte um den Tonfilm und präsentierte auf der Ausstellung ‚Die Technische Stadt‘ einen Film nach dem System Breusing, einer Technik, bei der der Ton zum Film von einer Schallplatte abgespielt wurde.“
  9. Filmografie Lignose Hörfilm System Breusing GmbH (Berlin). In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 15. August 2018.
  10. Es müsste sich dabei um den 4. Lignose-Hörfilm System Breusing mit dem Titel Man wird doch wohl noch fragen dürfen handeln, in dem Hubert von Meyerinck auftrat; allerdings ist dabei nicht der Text des darin vorgetragenen Couplets Gegenstand der Zensur, sondern urheberrechtliche Gesichtspunkte. Vgl. Albert Hellman: De geluidsfilm 1930, dbnl.org. Abgerufen am 15. August 2018 (niederländisch): „Ook in Duitschland kwamen er machtige firma’s die buiten de Tobis stonden, met eigen verbeteringen en veranderingen van de klankfilm. De ‘Lignose-Breusing’ is bekend als eerste slachtoffer der Duitsche censuur op de klank der geluidsfilms.“
  11. James zu Hüningen: Photophone. In: Lexikon der Filmbegriffe. Institut für Neuere Deutsche Literatur und Medien, 10. Februar 2012, abgerufen am 15. Mai 2014.
  12. Curt Breusing, der auf die „Sprossenschrift“ (variable density, Dichteverfahren) setzte, wollte als Lichtsteuerorgan statt einer Entladungs- oder einer Flächenglimmlampe („Aeolight“ bei deForest, Movietone, „Ultrafrequenzlampe“ bei Vogt-Engel-Masolle, Tri-Ergon) eine Kathodenstrahlröhre benutzen, die aber zu wenig Lichtstärke für die Tonspur lieferte, so dass die Aufnahme zu leise wurde und das Nutz-Stör-Signal-Verhältnis ungünstig ausfiel, vgl. Báko, 2004, S. 35.
  13. vgl. Zusammenstellung bei Birett, 1970, S. 153: Breusing, K., Berlin, Patente Nrn. 418.541, 449.708, 455.084; Mühl-Benninghaus, 1999, S. 101.
  14. „Es sind hier bereits die Atelieraufnahmen für zahlreiche Kultur-Großfilme und eine große Anzahl von Spiel- und Kultur-Kurzfilmen hergestellt worden, außerdem werden dauernd Nachsynchronisationen durchgeführt. (…) Es ist Beschränkung auf reinen Nachsynchronisations-Betrieb für später vorgesehen.“ Vgl. cinegraph.de, abgerufen am 15. August 2018.
  15. Zensurentscheidung vgl. filmportal.de, difarchiv.deutsches-filminstitut.de. Jeweils abgerufen am 15. August 2018.
  16. vgl. cyranos.ch, cineartistes.com, lesgensducinema.com. Jeweils abgerufen am 15. August 2018.
  17. Der fehlende Zusatz „System Breusing“ in der Herstellerangabe deutet bereits an, dass man ab hier auf das Lichttonverfahren der British Photophone umgestiegen ist. Dennoch entstanden bis Ende 1929 noch vier weitere Nadelton-Kurzfilme: zwei Spiel- und zwei Dokumentarfilme, vgl. filmportal.de
  18. Säg det i toner. Internet Movie Database, abgerufen am 4. Oktober 2024 (englisch).
  19. Nach Sibirien - Company Credits in der Internet Movie Database (englisch).
  20. Frederik Lang: Ein filmographisches Mysterium. In: filmeditio.hypotheses.org, 8. April 2014: „Ins Blaue hinein, 1930 (?), Regie: Eugen Schüfftan, Buch: Dr. Herbert Rona, Kamera: Laszlo Schäffer, Ton: Franz Schröter, Musik: Harry Ralton, Musikalische Leitung: Alfred Strasser, Regieassistenz: Dr. Herbert Rona, Darsteller: Toni van Eyck, Karl Balhaus, Aribert Mog, Theo Lingen, Wolfgang Staudte, Franz Stein, Werner Scharf, Alice Iversen, Helene Roberts, Produktion: Prisma-Produktion, Tonsystem: Lignose-Hörfilm, Tonkopie: Fitiko. Kopie: Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, 966 m, ca. 30 min.“
  21. Die Hasenpfote. In: filmportal.de. Deutsches Filminstitut, abgerufen am 15. August 2018.
  22. Deutschland erwacht. Ein Dokument von der Wiedergeburt Deutschlands. In: filmportal.de. Abgerufen am 15. August 2018.
  23. vgl. searchworks.stanford.edu. Abgerufen am 15. August 2018.
  24. Vgl. dazu Bo G. Svensson bei prettofilm.blogspot.de (11. Januar 2012) (schwedisch)