Rigaer Märtyrerstein – Wikipedia

Vorderseite des Gedenksteins

Der Rigaer Märtyrerstein, eingeweiht am 22. Mai 1920, zerstört nach dem Zweiten Weltkrieg, 2006 neu eingeweiht, auch Gedenkstein „Für unsere Märtyrer“ genannt, ist ein Denkmal auf dem Großen Friedhof in Riga.

Der Rigaer Märtyrerstein wurde zur Erinnerung an die sogenannten baltischen Märtyrer errichtet; gemeint waren damit in diesem Fall eine Reihe von evangelischen Geistlichen, die während der bolschewistischen Besatzung des Baltikums im Lettischen Unabhängigkeitskrieg und im Estnischen Freiheitskrieg in den Jahren 1918 und 1919 getötet wurden.

Der Rigaer Märtyrerstein wurde auf dem Großen Friedhof in Riga am 22. Mai 1920, dem ersten Jahrestag der Eroberung Rigas durch die Baltische Landeswehr, neben der Neuen Kapelle von den Kirchengemeinden eingeweiht. Da die Zukunft der Deutsch-Balten im unabhängigen Lettland unklar war, nachdem es 1919 auch Kämpfe zwischen diesen und den Letten gegeben hatte, handelte es sich um keine Jubelfeier; die Veranstalter versuchten, die Deutsch-Balten als Opfer, nicht als Befreier darzustellen. Dementsprechend wurde nur an zivile Opfer erinnert, und unter diesen nur an Geistliche. Das Gedenken wurde auf die Opfer der Bolschewiken beschränkt, da eine friedliche Koexistenz mit den Letten angestrebt war. Deutsch-Balten und Letten wurden als gemeinsame Opfer des Bolschewismus dargestellt, damit die Veranstaltung dem lettischen Staat nicht als Provokation erscheinen konnte.

Die Einweihungsfeier hatte das Thema „Märtyrer“. Lesungstexte waren Offb 6,9–11 LUT, Offb 16,4–7 LUT, Offb 19,6–9 LUT, Offb 21,1–7 LUT und Offb 22,16.17.20 LUT. Predigttext war Apg 1,8 LUT. Damit wurden die aufgelisteten Pastoren als Märtyrer für das Wort Gottes dargestellt. Die Auswahl der Bibelzitate deutet darauf hin, dass dies als Gottes Wille dargestellt werden sollte. Die Feier sollte also als Trost für eine Bevölkerungsgruppe dienen, die sich gefährdet sah. Die Kollekte war für die Waisen der Opfer bestimmt.

Gestaltung und Inschrift

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Ursprüngliche Gestaltung

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Der Rigaer Märtyrerstein war von Anfang an mit keinerlei antilettischen Aussagen beschriftet. Allerdings wurde das Leiden der Deutsch-Balten gegenüber dem der Letten ursprünglich bewusst in den Vordergrund gestellt, da die beteiligten Kirchengemeinden damals deutsch-baltisch dominiert waren; fast alle auf der Vorderseite des Steines gelisteten Personen gehörten der deutschsprachigen Bevölkerungsgruppe an, es fanden sich nur sieben Mitglieder der lettischen Ethnie.

Es handelt sich bei dem Stein um einen etwa 2,20 m hohen Obelisken aus schwarzem Granit. Im oberen Bereich der Vorderseite stehen die Namen der acht Pastoren, die im Rigaer Zentralgefängnis bei der Schlacht um Riga am 22. Mai 1919 von den sich zurückziehenden Rotarmisten ermordet wurden. (Siehe dazu den Artikel über Marion von Klot, die dabei ebenfalls ermordet wurde.) Im unteren Bereich stehen die Namen von 32 weiteren geistlichen Opfern der bolschewistischen Besatzung. Die Inschrift lautet:

„Hebr. 13.7 Gedenket an eure Lehrer: Die Pastoren Bergengruen, Doebler, Eckhardt, Hoffmann, Savary, Scheuermann, Taube, E. Treu, die am 22. Mai 1919 in Riga den Zeugentod erlitten. Außer diesen starben als Märtyrer in den baltischen Landen während der Zeit der bolschewistischen Schreckensherrschaft und Christenverfolgung 1918/1919 die Pastoren Adolphi, Berg, Bernewitz, Bielenstein, Bosse, Gilbert, Grüner, Prof. Hahn, Haßmann, Hesse, Jende, Marnitz, Moltrecht, Paucker, Rutkowski, Scheinpflug, Schlau, Schwartz, Strautmann, P. Treu, Tschischko, Uhder, Wühner, Wachtsmuth. Das Blut der Märtyrer ist die Saat der Kirche. Als Confessore starben in dieser Zeit die Pastoren Bidder, Cleemann, Frese, Geist, Gross, Kaspar, Rosenberg, Walter. Wer beharret bis ans Ende, der wird selig. Matth. 24.13“

Zu den Bibelzitaten siehe Hebr 13,7 LUT und Mt 24,13 LUT.

Änderungen bei der Wiedererrichtung

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Rückseite mit den Namen von sieben ermordeten lettischen Pfarrern

Der 2006 wiedererrichtete Stein entspricht in der Gestaltung hinsichtlich Form, Schriftbild und Verzierungen nicht vollständig dem Original; es fand eine deutliche Modernisierung statt. Die waagerechte Oberseite wurde durch eine dreieckig zugespitzte ersetzt, während der ursprüngliche Stein eine dreieckige Kante an der Spitze aufwies, über der sich einige Schnörkel befanden, die den Bereich bis zur Oberseite auffüllten. Vier sternförmige Verzierungen an den Ecken des oberen Schriftfeldes des ursprünglichen Steines wurden weggelassen. Die Aufteilung in zwei durch eine Kante getrennte Schriftfelder für die Märtyrer beziehungsweise die Bekenner wurde ebenfalls aufgegeben, der gesamte Text der Vorderseite befindet sich jetzt auf einer einheitlichen Fläche. Der Wortlaut der Vorderseite wurde in Druckschrift übernommen, während der ursprüngliche Stein in einer schlechter lesbaren Schreibschrift beschriftet war. Die einzige textliche Änderung auf der Vorderseite besteht in der Vertauschung des oberen Bibelverses mit der entsprechenden Stellenangabe; die Stellenangaben sind jetzt in kleinerer Schrift ausgeführt.

Während die Vorderseite weiterhin dem Original entsprechend in deutscher Sprache beschriftet ist und überwiegend Deutsch-Balten auflistet, ist die Rückseite heute lettisch beschriftet, zunächst mit dem Bibelvers „Pieminiet savus vadītājus, kas jums Dieva vārdu runājuši“ (übersetzt: „Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben)“ und der Stellenangabe „Ebr 13,7“ (Hebr 13,7), das Zitat ist also gegenüber der deutschsprachigen Vorderseite erweitert worden. Nach einem Einleitungssatz folgen dann die Namen der sieben Letten unter den auf der Vorderseite aufgelisteten Pastoren, diesmal in lettischer Schreibweise mit Vornamen, nämlich zunächst die Märtyrer:

  • Ludvigs Čiško (Ludwig Tschischko in deutscher Schreibweise)
  • Adams Jende (Adam Jende)
  • Kristaps Strautmanis (Christoph Strautmann)
  • Edgars Hasmanis (Edgar Haßmann)
  • Konstantīns Ūders (Konstantin Uhder)

Und, nach einer Überleitung, die Namen der Letten unter den Bekennern:

  • Vilhelms Kaspars (Wilhelm Kaspar in deutscher Schreibweise)
  • Pēteris Rozenbergs (Peter Rosenberg)

Danach folgt ein weiterer Bibelvers: „Esi uzticīgs līdz nāvei, tad es tev došu dzīvības vainagu“ (übersetzt: „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“) mit der Stellenangabe „Jn Atkl 2,10“ (Offb 2,10 LUT). Der Vers wurde also gegenüber der deutschsprachigen Vorderseite ausgetauscht. Zuunterst auf der rechten Seite folgt „Renovatum Domus Rigensis 2006“, da die Wiedererrichtung von Domus Rigensis getragen wurde.

Die Rückseite entspricht also im Aufbau der Vorderseite, schafft aber jetzt durch Sprache und Auswahl der Namen einen Ausgleich zu der deutsch-baltischen Dominanz auf der vom ursprünglichen Stein übernommenen Vorderseite.

Weitere Nutzung

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Auch in den nächsten Jahren nach seiner ersten Einweihung war der Rigaer Märtyrerstein ein wichtiger Ort des Gedenkens an die Opfer der bolschewistischen Besatzung. Allerdings wurde nun auch an die gefallenen Soldaten der Landeswehr erinnert. Als Beispiel sei der dritte Jahrestag der Eroberung Rigas, der 22. Mai 1922, genannt. Die deutsch-baltischen Geschäfte und Büros blieben geschlossen. Die Angehörigen der Opfer gingen auf die Friedhöfe. Am Märtyrerstein fand eine Versammlung früherer Gemeindemitglieder und Freunde der aufgelisteten Pastoren statt, die vom deutsch-baltischen Bischof Poelchau eröffnet wurde; Predigttext war Offb 21,3 LUT. Der Märtyrerstein war jetzt aber nur noch ein Nebenschauplatz neben dem andernorts stattfindenden Gedenken an die militärischen Opfer, Predigten fanden hier weiterhin statt; die Kirche spielte aber beim Gedenken an den 22. Mai 1919 nur noch eine Nebenrolle.

Zerstörung und Wiedererrichtung

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Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Rigaer Märtyrerstein von der sowjetischen Verwaltung zerstört. Im Zuge der Bestrebungen, den Großen Friedhof wiederherzustellen, konnte auch der Märtyrerstein im Jahre 2006 durch die Initiative von Gerhard Mietens und die Mithilfe von Domus Rigensis und dem Verein zur Förderung Baltischer Baudenkmäler neu eingeweiht werden. Auf der Rückseite werden jetzt die Namen der sieben lettischen Pastoren noch einmal in lettischer Sprache mit Vornamen wiederholt, während die Vorderseite dem deutschsprachigen Original entspricht.

Biographische Daten der aufgelisteten Pastoren

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Die Reihenfolge in der Tabelle[1] entspricht der auf der Vorderseite des Rigaer Märtyrersteins. Die Namen der auf der Rückseite wiederholten lettischen Geistlichen sind kursiv geschrieben. Die lettischen Namensvarianten[2] sind in Klammern angegeben. Die Datumsangaben folgen dem julianischen Kalender.

Name Geburtsdatum Ordinationsdatum Gemeinde (1914)
Hermann Bergengruen (Hermanis Bergengrūens) 08.06.1872 17.02.1902 Wenden, deutsche Stadtgemeinde (Cēsis)
Erhard Doebler (Erhards Deblers) 04.08.1882 05.02.1912 Riga, Gemeinde des Diakonissenhauses
August Eckhardt 20.04.1868 13.12.1892 Riga, Dom
Theodor Hoffmann (Teodors Hofmanis) 01.02.1865 15.11.1892 Riga, St. Petri
Eberhard Savary (Eberhards Savarijs / Zāvari / Safari) 12.04.1863 13.03.1888 Ascheraden (Aizkraukle)
Eugen Scheuermann (Eižens Šeuermans / Šeiermanis) 12.09.1856 29.05.1883 Riga, Thorensberg (Torņakalns), Luther-Gemeinde
Theodor Taube (Teodors Taube) 01.02.1864 01.05.1888 Riga, Martins-Gemeinde, deutscher Teil
Ernst Fromhold-Treu (Ernsts Fromholds-Treijs) 03.02.1861 29.11.1885 Riga, Strasdenhof (Strazdumuiža), Blindenasyl, Direktor
Heinrich Leonhard Adolphi (Heinrihs Leonhards Ādolfijs) 09.10.1852 30.12.1879 Adsel (Gaujiena mahz. m.)
Eugen Berg (Eižens Bergs) 24.08.1855 08.09.1885 Palzmar-Serbigal (Palsmane mahz. m.)
Alexander Bernewitz (Aleksand(e)rs Bernevics) 31.03.1863 14.08.1888 Kandau (Kandava)
Hans Bielenstein (Ansis Bīlenšteins) 13.02.1863 14.05.1888 Alt- und Neu-Rahden (Vecsaule und Jaunsaule)
Heinrich Bosse (Heinrihs Bose) 06.09.1871 26.04.1898 Wohlfahrt (Ēvele mahz. m.)
Wilhelm Gilbert (Vilhelms Gilberts) 24.12.1868 07.11.1899 Siuxt (Džūkste-m.)
Wilhelm Grüner (Vilhelms Grīners) 01.09.1891 ? 1919: Ronneburg (Rauna)
Traugott Hahn (Traugots Hāns) 01.02.1875 16.05.1899 Jurjeff, Universitätsgemeinde (Tartu Ülikooli kogudus)
Edgar Haßmann (Edgars Hasmanis) 31.01.1884 1914 Fellin (Viljandi), Adjunkt von Jaan Lattik
Carl Immanuel Philipp Hesse 13.09.1875 30.05.1904 Jewe (Jõhvi kih.)
Adam Jende (Ādams Jende) 06.10.1861 01.08.1893 Ronnenburg (Rauna mahz. m.)
Xaver Marnitz (Ksavers Marnics) 09.08.1855 20.02.1883 Uexküll-Kircholm (Ikšķile und Salaspils)
Karl Moltrecht (Kārlis Moltrehts) 12.05.1860 26.01.1887 Dondangen (Dundaga)
Walther Paucker 07.03.1878 01.04.1907 Wesenberg (Rakvere kih.)
Arnold von Rutkowski (Arnolds (fon) Rutkovskis) 28.02.1865 ? 1901: Hofzumberge (Tērvete)
Theodor Scheinpflug (Teodors Augusts Šeinpflugs) 06.05.1862 19.11.1889 Pernigel (Liepupe mahz. m.)
Karl Schlau (Karls Šlaus / Kārlis Šlavs) 10.02.1851 05.02.1878 Salis (Salacgrīva mahz. m.)
Moritz Wilhelm Paul Schwartz 04.11.1864 12.03.1889 Jurjeff, St. Johannis (Tartu Jaani kogudus), Pastor-Diakonus
Christoph Strautmann (Kristaps Strautmanis) 11.11.1860 05.05.1896 Bauske (Bauska), lettische Gemeinde
Paul Fromhold-Treu (Pauls Fromholds-Treijs) 22.05.1854 16.08.1881 Riga, St. Trinitatis-Gemeinde
Ludwig Johannes Tschischko (Ludvigs Jānis Čiško) 18.06.1858 10.01.1893 St. Matthiä (Matīši mahz. m.)
Konstantin Uhder (Konstantīns Ūders / Ūdris) 19.02.1870 20.04.1903 Aahof (Lejasmuiža mahz. m.)
Richard Alexander Georg Wühner 16.09.1872 28.09.1897 Walk, estnische St. Petri-Gemeinde
Paul Wachtsmuth (Pauls Vah(t)smuts) 15.05.1879 09.11.1903 Mitau (Jelgava), St. Johannis, deutsche Stadtgemeinde
Oskar Bidder (Oskars Bidders) 27.03.1866 20.11.1894 Riga, St. Jakobi, Gefängnisgemeinde
Gustav Cleemann (Gustavs Bernhards Kristians Klēmanis) 16.09.1858 17.11.1885 Riga, Jesus-Gemeinde
Eduard Paul Benedict Frese 19.11.1872 13.09.1898 Waiwara (Vaivara kih.)
Alfred Geist 10.12.1863 27.11.1887 Riga, evangelisch-reformierte Gemeinde
Erwin Gross (Ervins Johans Gross) 24.09.1870 24.09.1895 Roop (Straupe)
Wilhelm Kaspar (Vilhelms Kaspars) 03.01.1853 23.12.1881 Schujen-Lodenhof (Skujenes-Lodes mahz. m.)
Peter Rosenberg (Pēteris Rozenbergs) 28.06.1871 03.12.1901 Riga, Martins-Gemeinde, lettischer Teil
Arthur Walter (Artūrs Hugo Valters) 20.09.1860 31.03.1885 Riga, Neu-St. Gertrud
Commons: Rigaer Märtyrerstein – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Bernhard Böttcher: Gefallen für Volk und Heimat. Kriegerdenkmäler deutscher Minderheiten in Ostmitteleuropa während der Zwischenkriegszeit. Böhlau, Köln 2009, ISBN 978-3-412-20313-9. Darin das Kapitel Deutschbaltisches Totengdenken an die Gefallenen des Bürgerkrieges, S. 98–105, vor allem S. 100–101.
  • Jānis Juškēvičs: Vecā Rīga. Rīga 1936, S. 30–35.*
  • Thomas Ehlert: Traugott Hahn (1875–1919)- Leben, Wirken, Martyrium, Spiritualität und Theologie (FAU Studien aus der Philosophischen Fakultät, Band 10), Erlangen 2018. v, 501 Seiten, ISBN 978-3-96147-119-5; Zugriff auf den Volltext über OPUS FAU: http://opus4.kobv.de/opus4-fau/frontdoor/index/index/docId/9992

Einzelnachweise

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  1. Die Evangelisch-Lutherische Kirche in Russland. 1914. (Memento vom 11. Oktober 2011 im Internet Archive)
  2. Karlis Beldavs: Macitaji, kas nave gaja, Luterisma mantojuma fonds, Riga 2010 (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive), ISBN 978-9984-753-56-0

Koordinaten: 56° 58′ 15,6″ N, 24° 8′ 39,6″ O