Schwulität – Wikipedia

Schwulität bzw. Schwulibus bedeutet „Verlegenheit“, „Bedrängnis“, „Schwierigkeit“ oder „Angst“. Erhalten haben sie sich in den Redensarten „in Schwulitäten geraten“ und „in Schwulibus sein“, welche eine schwierige oder peinliche Situation beschreiben.

Das niederdeutsche Wort schwul für „drückend heiß“ wurde im 17. Jahrhundert ins Hochdeutsche übernommen und im 18. Jahrhundert, wahrscheinlich durch Beeinflussung des Antonyms kühl,[1] in schwül umgewandelt. Bei einer Schwüle oder drückenden Hitze fühlt man Beklommenheit.[2] Wenn man in Bedrängnis kommt, kann einem auch „ganz heiß“ werden.[3] Für die Nebenbedeutung „ängstlich, bange, herzbeklommen“ wird schwul noch etwas länger verwendet[4] und ist auch in lokalen, umgangssprachlichen Wörterbüchern belegt.[5][6] Man konnte sagen: „mir ist schwul zu Muthe“,[2] „mir ist schwul“, „ich bin schwul“.[7] In der Studentensprache des 18. Jahrhunderts wurde die daraus folgende scherzhafte Bildung Schwulitäten gängig[8], zusammengezogen Schwuliten.[9] In Gottfried August Bürgers Ballade Der Kaiser und der Abt heißt es:

Kein armer Verbrecher fühlt mehr Schwulität,
Der vor hochnotpeinlichem Halsgericht steht.[10]

Eine weitere synonyme, pseudo-lateinische Wortkreation ist Schwulibus.[11][12] Eine Verbindung von beiden gibt es in einem alten Studentenlied:

Wer nur den lieben Gott lässt walten
und hofft auf ihn bei Bier und Kuss,
den thut er wundersam erhalten
in allen Schwulitatibus.[13]

Von der Studentensprache wurden die Begriffe später in die Gemeinsprache übernommen.

Im Rheinischen existiert neben Schwulität[14] noch Schwallität für „Aufregung“.[15]

Schwul im Sinne von „homosexuell“, welches denselben Wortursprung hat, ist erst seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlich. Schwulität hat ursprünglich keine Verbindung dazu. Manchmal wird es diesbezüglich als doppeldeutiges Wortspiel oder mit euphemistischer Absicht verwendet.[16][17][18][19] Selten wird es als Synonym für männliche Homosexualität verwendet,[20][21][22][23] die passenderen Ausdrücke dafür sind Schwulsein und die selten verwendete Schwulheit.[24]

Wiktionary: Schwulität – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

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  1. schwül – schwüle. In: Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Hrsg.): Deutsches Wörterbuch. Band 15: Schiefeln–Seele – (IX). S. Hirzel, Leipzig 1899, Sp. 2748–2750 (woerterbuchnetz.de).
  2. a b Johann August Eberhard, J. G. Gruber: Deutsche Synonymik. Barth, 1852, S. 307.
  3. Robert Sedlaczek, Roberta Baron: Leet& leiwand: Das Lexikon der Jugendsprache: mehr als 250 Ausdrücke und Redensarten – was sie bedeuten, woher sie stammen. Echomedia, 2006, ISBN 3-901761-49-7, S. 136.
  4. Woldemar Freiherr von Biedermann (Hrsg.): Goethes Gespräche. Band 1–10, Leipzig 1889–1896, Band 10, S. 40–44, 213–214, 1804, Mitte Januar – Mit Heinrich Voß u.a: „Einmal vor Verona wird Goethe, als er eine alte Ruine zeichnete, von Häschern angegriffen. ‚Da ward mir schwul,‘ sagte er, ‚aber ich erwog gleich das Beste: ich raffte mich zusammen, nahm alle Würde an und begann eine Rede. […]‘“
  5. Karl Albrecht, Rudolf Hildebrand: Die Leipziger Mundart: Grammatik und Wörterbuch der Leipziger Volkssprache; zugleich ein Beitrag zur Schilderung der Volkssprache im Allgemeinen, Arnoldische Buchhandlung, 1881, S. 211: Schwul für schwül; Pf.; „es ist mir schwul“, bange; daher: in Schwul i- bus sein, in Aengsten;
  6. Johann Andreas Schmeller: Bayerisches Wörterbuch: Sammlung von Wörtern und Ausdrücken, die in den lebenden Mundarten sowohl, als in der ältern und ältesten Provincial-litteratur des Königreichs Bayern…. Cotta, 1836, S. 535: schwul (schwäb., Rhein), ängstlich, bange
  7. Friedrich Ludwig Karl Weigand: Wörterbuch der deutschen Synonymen, F. Kupferberg, 1852, S. 1091 „2224 – warm“
  8. Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 23., erw. Auflage, Berlin, New York, 1999
  9. Konrad Burdach, Christian Friedrich Bernhard Augustin: Studentensprache und Studentenlied in Halle vor hundert Jahren: [überarbeiteter] Neudruck des „Idiotikon der Burschensprache“ von 1795. 1894.
  10. Gottfried August Bürger: Der Kaiser und der Abt, Zeile 47–48
  11. C. B. von Rag---y (Berlin): Der Flotte Bursch – oder – Neueste durchaus vollständige Sammlung von sämmtlichen jetzt gebräuchlichen burschicosen Redensarten und Wörtern. Wilhelm Nauck, Leipzig 1831
  12. „ein bemoostes Haupt“ (aus Leinathen = Göttingen, Hrsg.): Studentikoses Idiotikon, oder allgemeine deutsche Burschensprache, W. Hochausen, Jena 1841, S. 42
  13. Wörterbuch der Redensarten, Herkunft und Bedeutung. Duden, 2. überarbeitete und ergänzte Auflage, S. 202
  14. Schwul – Schwulität“, Rheinisches Wörterbuch, 9 Bände. Bonn/Berlin 1928–1971.
  15. Schwall II, Rheinisches Wörterbuch. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften, der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde und des Provinzialverbandes der Rheinprovinz auf Grund der von Johannes Franck begonnenen, von allen Kreisen des Rheinischen Volkes unterstützten Sammlung bearbeitet und herausgegeben von Josef Müller, Heinrich Dittmaier, Rudolf Schützeichel und Mattias Zender. 9 Bände. Bonn/Berlin 1928–1971.
  16. Hallo, Gerda. In: Der Spiegel. Nr. 34, 1979, S. 38 (online20. August 1979).
  17. Schnattern und giggeln. In: Der Spiegel. Nr. 40, 1994, S. 254–256 (online3. Oktober 1994).
  18. Kronsbein: Donnerstag, 25. Juli. In: Der Spiegel. Nr. 30, 1997, S. 179 (online21. Juli 1997). Zitat: „Kerner: Ein deutsches Dilemma: "Ich bin schwul, und ich will heiraten." Homos in Schwulitäten.“
  19. Sebastian Borger: Kirche in Schwulitäten: Anglikaner streiten über die Ehe homosexueller Priester, Spiegel online, 23. Juni 2008
  20. Siegfried Schober: Idol des letzten Rock. In: Der Spiegel. Nr. 16, 1976, S. 237 (online12. April 1976).
  21. Hellmuth Karasek: Der Schock, ein anderer zu sein. In: Der Spiegel. Nr. 46, 1991, S. 317–322 (online11. November 1991).
  22. Arno Renggli: Die neue Männlichkeit – Interview mit Peter A. Schröter, Neue Luzerner Zeitung, Nr. 120 / 25. Mai 2004
  23. Christian Schmidt: Abenteuer Osten – Teil 8 – Mir nichts dir nichts erschossen (Memento vom 11. November 2007 im Internet Archive), econautix.de, 15. November 2004
  24. Deutsche Rechtschreibung, Duden, 2006 & Großes Wörterbuch der Deutschen Sprache, Duden, 1999