Theater für Kinder – Wikipedia
Theater für Kinder (auch Kindertheater oder Kinder- und Jugendtheater) bezeichnet Theater, das vor allem für Kinder und Jugendliche gemacht und gespielt wird.
Historische Entwicklung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Beginn in Deutschland im 17. Jahrhundert
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Theatervorführungen mit speziellen Kinderthemen reichen bis in das 17. Jahrhundert zu Christian Gryphius zurück. Das wohl erste eigentliche Kindertheater der Welt, also einem Theater „für Kinder“ (im Publikum) mit „von Kindern“ (als wesentliche Akteure auf der Bühne) entstand 1864 in Dresden auf Betreiben von Agnes Nesmüller, der Ehefrau des Theaterdirektors Josef Ferdinand Nesmüller. Nach nur zwei Jahren musste es aus finanziellen Gründen wieder geschlossen werden.
Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert entwickelte sich vor allem das Märchenstück, das als Weihnachtsmärchen den deutschen (Stadt-)Theatern zur Jahreswende die Kassen füllte.
Spezialisierung in Russland und Deutschland Anfang des 20. Jahrhunderts
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In den Revolutionsjahren in Russland/Sowjetunion gründete Natalia Saz ein Kindertheater – später auch ein Musiktheater für Kinder – in Moskau, das sich mit der Lebenswirklichkeit von Kindern (und anderen Menschen) beschäftigte. Die Themenauswahl unterschied sich bald auch nach Altersgruppen, so dass eine Trennung in Kindertheater und Jugendtheater erfolgte.
Oldenburg i. H.
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1945 wurde das Theater für Kinder – Bühne Morgenstern in Oldenburg in Holstein gegründet, welches als gemeinnütziges Tourneetheater begann, an Schulen zu spielen. Diese Bühne ist somit das älteste noch bestehende Kindertheater Deutschlands.
Erfurt
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das heutige Kinder und Jugendtheater Die Schotte ist aus einem Kindertheater hervorgegangen, das seit 1961 im ehemaligen Pionierhaus auf dem Petersberg aktiv war und das im Jahre 1987 um die damalige Jugendbühne TI(C)K erweitert wurde. Mit dem politischen Wandel in den Jahren nach 1989 änderten sich die Bedingungen für das Kulturleben der Stadt Erfurt grundlegend. Die Mitglieder der Jugendbühne gründeten sich am 25. März 1991 als Verein und fanden in der ehemaligen Turnhalle der abgewickelten Schotten-Schule einen bespielbaren Raum, der in den Folgejahren aufwändig kernsaniert und durch einen Neubau erweitert wurde. Das langjährige Leitungsduo Renate Lichnok und Karl-Heinz Krause haben zahllose Inszenierungen mit Jugendlichen erarbeitet und aufgeführt.[1][2]
Leipzig
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Theater der Jungen Welt in Leipzig ist das älteste noch bestehende professionelle Kinder- und Jugendtheater Deutschlands.[3] Am 7. November 1946 wurde das erste Stück, Erich Kästners Emil und die Detektive aufgeführt. Dieser Tag wurde in Ermangelung genauerer Daten als das Gründungsdatum des Theaters angenommen.
Dresden
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das heutige Theater Junge Generation (TJG, auch tjg) wurde im Oktober 1949 unter dem Namen Theater Für Kinder, Dresden, Deutsche Volksbühne gegründet und mit dem Stück Tobias Ahoi! von Marie-Louise Kendzia am 11. November 1949 gegründet, bevor es 1950 nach Dresden-Cotta zog. Am 9. März 1950 wurde das Theater in Theater der Jungen Generation umbenannt. Seit der Angliederung des Puppentheaters der Stadt Dresden 1997 ist das TJG das größte Kinder- und Jugendtheater Deutschlands. Am 16. Dezember 2016 zog es in einen Neubau im Kraftwerk Mitte.
Berlin
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das zweitgrößte eigenständige Kinder- und Jugendtheater ist das Theater an der Parkaue in Berlin-Lichtenberg. Unter dem Intendanten Hans Rodenberg wurde es nach dem Befehl 65 der sowjetischen Militärregierung am 16. November 1950 als Theater der Freundschaft gegründet.
Schultheater oder didaktisches Theater taucht auch bei Brecht wieder als Lehr-, Lernstück auf.
Das GRIPS-Theater in Berlin (vormals Reichskabarett) und in seiner Folge das Theater Rote Grütze erfanden Ende der 1960er-Jahre (angestoßen durch die politisch-emanzipatorische Bewegung) das sozial engagierte realistische Kindertheater, das sich in der Tradition auf Natalia Saz beruft. Aus ihm entwickelte sich das Jugendtheater.
Lange Zeit bestimmten GRIPS und Grütze und eine immer größer werdende Zahl von Kindertheatern, die in den beiden ihre Vorbilder sahen, Ästhetik und Inhalte des in der BRD agierenden Kinder- und Jugendtheaters. Stücke wie die Mugnok-Kinder (GRIPS-Theater) oder Darüber spricht man nicht und Nippes und Stulle spielen Froschkönig (Theater Rote Grütze) waren für das Kindertheater stilprägend, so wie es Das hältst du ja im Kopf nicht aus (GRIPS-Theater) und Was heißt hier Liebe? (Theater Rote Grütze) für das Jugendtheater waren.
Wiesbaden
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1978 gründeten die beiden Studenten Otto Mayr (Schauspieler und Lehramtsstudent ) und Michael Löser (Lehramtstudent u. Schauspieler) in Erwartung ihrer sicheren Arbeitslosigkeit, wegen bestehender Lehrerschwemme, das mobile Kinder u.- Jugendtheater die „BAUSTELLE“ aus Wiesbaden. Lehrplanorientiertes Theater, jeder Zeit in die Lehrpläne einzubeziehen! Das erste mit Zielgruppe (Schülern) erarbeitete Problemstück („Das kurze Leben der Gabi X“) Thema Jugendsuizid. Das Kinderstück („Wie zähmt man einen Drachen“) Lernziel „Solidarität“ und das Jugendtheaterstück „HIGHLIFE“ zum Thema Alkohol und Jugend wurden vom Hessischen Sozialministerium finanziell gefördert! Und ebenso gefördert durch die Hess.Landeszentrale für politische Bildung! 6-10 arbeitslose Lehrer und Schauspieler, spielten für Kinder und Jugendliche, in ihren Schulen und waren fast 10 Jahre lang, mit bis zu 80-200 Vorstellungen pro Jahr, in Deutschland unterwegs! Träger war der „Verein zur Förderung des Kinder und Jugendtheaters in der BRD“!
Dortmund
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1953 wurde das Kinder- und Jugendtheater am Theater Dortmund als eigenständige Spielstätte eröffnet. 2007 folgte hier der Bau einer Kinderoper.
München
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Münchner Theater für Kinder wurde 1967 von Heinz Redmann gegründet und führt jedes Jahr rund 100.000 Kinder an das Medium Theater heran. 2014 wurde das Theater in eine gemeinnützige GmbH umgewandelt. Die Stadt verfügt zudem über ein städtisches Theater der Jugend, die Schauburg.
Hamburg
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das 1968 von Uwe Deeken gegründete Theater für Kinder in Hamburg-Altona war Uraufführungstheater für Werke der Kinderbuchautoren wie Astrid Lindgren, Michael Ende, Otfried Preußler und Paul Maar. Mit der Uraufführung einer Bearbeitung von Mozarts Zauberflöte für Kinder 1979 und weiteren Bearbeitungen klassischer Opern für Kinder leitete das Hamburger Theater eine neue Ära der Kindertheaterkultur ein, in der bereits Grundschulkinder als kompetente Theaterbesucher ernst genommen werden.
Das Fundus-Theater wurde 1980 als Tourneetheater gegründet und bezog 1997 seinen Stammsitz in Hamburg-Eilbek, ab 2022 neue Spielstätte in Hamburg-Hamm.
Stuttgart
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]2004 wurde in Stuttgart mit dem Jungen Ensemble Stuttgart eine eigenständige Bühne für Kinder- und Jugendtheater eingerichtet, das JES ist heute eines der wenigen Theater für junges Publikum, das von Stadt und Land gefördert wird.
Theater für Kinder in Österreich und Italien ab den 1970er-Jahren
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]1973 wurde das Theater des Kindes in Linz aufgebaut, welches sich zum führenden Kindertheater in Österreich entwickelte. 1995 wurde durch Birgitta Thelen als Direktorin das Next Liberty in Graz an den Vereinigten Bühnen Graz gegründet und zählt indessen seit 2001 unter Michael Schilhan mit über 65.000 Zuschauerinnen und mehr als 200 Vorstellungen pro Saison zu den 5 erfolgreichsten Kinder- und Jugendtheatern im deutschsprachigen Raum.
Wien
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Wurzeln des Wiener Kindertheaters gehen bis in die 1930er Jahre zurück. 1932 gründeten der Schauspieler Stefan Wagner und der Realschuldirektor Hans Zwanzger das Theater der Jugend. 1939 wurde das Theater aufgelöst, im Oktober 1945 neu gegründet. In den 1970er Jahren gelangte es zu neuer Blüte, als das Wiener Renaissancetheater als Spielort angemietet wurde. Heutiger Leiter ist Thomas Birkmeir.[4] Das Theater der Jugend gilt heute als das größte Kinder- und Jugendtheater Europas.[5] Ende der 80er Jahre formierte sich in Wien die freie Theaterszene für junges Publikum, der ca. 40 Gruppen angehörten. 1990 gründete sich die AG Kindertheater, führte Bedarfserhebungen durch, was schließlich am 26. April 2002 in einen Beschluss des Wiener Gemeinderats über die Finanzierung und Errichtung des THEATERHAUSES für KINDER mündete. Im April 2003 wurde Stephan Rabl als künstlerischen Leiter bestellt und das Theater in THEATERHAUS für junges PUBLIKUM umbenannt. Am 1. Oktober 2004 öffnete DSCHUNGEL WIEN Theaterhaus für junges Publikum seine Türen. Mit inzwischen über 62.000 Besucherinnen in über 550 Vorstellungen pro Saison und seit 2004 mehr als 500 verschiedenen Produktionen hat sich DSCHUNGEL WIEN zum integralen Teil der Wiener Theaterszene entwickelt.
Brixen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das heutige Theaterpädagogische Zentrum Brixen (TPZ Brixen) in Südtirol ist aus dem 1990 gegründeten Kinder- und Jugendtheaterverein Theater im Regenbogen hervorgegangen.[6]
Weitere Verbreitung der Theaterkultur für Kinder
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Seit den 1980er-Jahren gründeten sich weitere neue Theater für Kinder, vor allem verbreiterte sich das ästhetische und inhaltliche Spektrum:
- In Frankfurt am Main gründete sich das Kinder- und Jugendtheaterzentrum der BRD.
- Neueste Errungenschaft ist die Einführung der 4. Sparte (Kinder-, Jugendtheater & Theater für junge Erwachsene) am Schauspielhaus Hamburg. Hier hat der neue Intendant Friedel Schirmer Klaus Schumacher betreut, der zuvor mehrere Jahre das MOKS in Bremen geleitet hatte. (MOKS, d. h. Modellversuch Künstler und Schule, ebenfalls ein Produkt der politisch-emanzipatorischen Bewegung der 1960er und 1970er Jahre).
- Das Berliner Kindertheater – Theater von großen Menschen für kleine Menschen e. V. (BKT) ist ein gemeinnütziger Theaterverein, der im November 1986 gegründet wurde.
- Vermehrt bieten Theater sogenannte Klassenzimmerstücke an, bei denen die Aufführung des Stücks nicht im Theater, sondern vor Ort (in einer Schule, im Klassenraum) erfolgt.
- Unzählige freie Theater produzieren ausschließlich oder zum Teil für Kinder und Jugendliche. Viele touren durch Schulen und spielen in Aulen oder Turnhallen.
Seit 1989 findet in Berlin alle zwei Jahre das Deutsche Kinder- und Jugendtheatertreffen statt.
Formen des Kindertheaters
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es gibt im Rahmen des Kinder- und Jugendtheaters wiederum verschiedene Ausprägungen:
- Puppentheater (Marionetten oder (offen oder verdeckt gespielte) Klappmaul-Puppen)
- Menschentheater
- Mitspieltheater (Öffnung der Vierten Wand)
- Objekttheater
- Tanztheater
- Kleinstkindtheater für 1- bis 2-Jährige
- Zaubertheater
- Klassenzimmerstück
- Musiktheater
- interaktives Kindertheater
- Performancetheater
Organisationen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ASSITEJ
- IATA / AITA
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Fachliteratur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Paul Arno: Thesen zu einer emanzipatorischen Strategie des Kindertheaters, in: Ästhetik & Kommunikation. Beiträge zur politischen Erziehung. Heft 5/6. Rowohlt, Reinbek 1972 ISBN 3-498-08503-4, S. 46–49.
- Gudrun Bär: Theater für Kinder in Wien 1855–1881. Geschichte, Repertoire und Ästhetik. Wehrhahn, Hannover 2024, ISBN 978-3-98859-007-7
- Reclams Kindertheaterführer. 100 Stücke für eine junge Bühne. Reclam, Ditzingen 1994 ISBN 3-15-010405-X.
- Natalija Iljinitschna Saz: Novellen meines Lebens. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1986, [Natalia Saz schreibt u. a. über sich und ihr Moskauer Kindermusiktheater sowie über Begegnungen mit Otto Klemperer, Dmitri Kabalewski, Walter Felsenstein, Albert Einstein u. v. a.].
- Wolfgang Schneider (Hrsg.): Kinder- und Jugendtheater in Österreich. Dipa-Verlag, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-7638-0529-X, Inhaltsverzeichnis.
- Wolfgang Schneider, Felicitas Loewe (Hrsg.): Theater im Klassenzimmer. Wenn die Schule zur Bühne wird. Schneider-Verlag, Baltmannsweiler 2006, ISBN 3-8340-0046-9.
- Martin Vogg: Die Kunst des Kindertheaters. Analyse des künstlerischen Potentials einer dramatischen Gattung. In: Wolfgang Schneider (Hrsg.), Kinder-, Schul- und Jugendtheater. Beiträge zu Theorie und Praxis, ISSN 0723-8312, Band 9, Frankfurt 2000.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Ursula Böhmer: Kindertheater. Emil und die Direktive. In: FAZ, 14. März 2006, Entwicklung des deutschen Kindertheaters nach Kriegsende.
- Annegret Morawe: Mitspieltheater Märchen Musical Events und Märchenfee Lia In: Sachsen-Sonntag, 16. März 2016, Theateraufführungen mit und für Kinder
- Theater Sturmvogel: interaktives Kindertheater in: Reutlinger Generalanzeiger, 15. Oktober 2016
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Geschichte der Schotte | die Schotte. das Theater. Abgerufen am 30. August 2022.
- ↑ mdr.de: Erfurt: Kinder- und Jugendtheater "Schotte" wird 30 Jahre alt | MDR.DE. Abgerufen am 30. August 2022.
- ↑ Website Theater der Jungen Welt
- ↑ Zur Geschichte des Theaters der Jugend. In: Theater der Jugend (Wien), aufgerufen am 2. Juni 2015.
- ↑ Gerald M. Bauer: Die Begegnung mit der eigenen Wirklichkeit. Kurze Geschichte des Theaters der Jugend in Wien. In: Rainer Mennicken, Stephan Rabl (Hrsg.), Theater für junges Publikum. Szene Österreich von Bregenz bis Wien. Theater der Zeit, Berlin 2008, ISBN 978-3-940737-20-5, S. 108–113, Inhaltsverzeichnis.
- ↑ https://tpz-brixen.org/neue-seite